Es lebe Jesus!

 

 26. Rundbrief des Generaloberen                         April - Mai

 Lewis S. Fiorelli, OSFS                                                  2006

 


   Gedanken über zwölf Jahre

   Während ich diese letzte Ausgabe meines Rundbriefes beginne, sind es noch fünf Monate bis zur Wahl meines Nachfolgers. Es ist also, wie ich glaube, ein geeigneter Zeitpunkt, um über diese letzten zwölf Jahre als Generaloberer nachzudenken.

   Im Buch II seiner Abhandlung über die Gottesliebe widmet Franz von Sales 5 Kapitel einer Reflexion über die göttliche Vorsehung (3-7). Für unseren Patron ist die Vorsehung ein Hauptsymbol. In einem breiten Bogen umfasst sie den leidenschaftlichen Wunsch Gottes, dass jeder von uns das dauerhafte Glück mit Ihm in seiner Herrlichkeit findet, und zugleich alle großen und kleinen Mittel, die er uns im Lauf unseres Lebens schenkt, damit wir an dessen Ende dieses Glück auch erlangen. Er schreibt in der Abhandlung, dass die höchste Vorsehung nichts anderes ist als "jener Akt, durch den Gott Menschen und Engeln die notwendigen und nützlichen Mittel verleihen will, ihr Ziel zu erreichen" (II, 3). Wir sind frei. Wir müssen deshalb die Mittel, die uns die göttliche Vorsehung in jedem Augenblick schenkt, in Freiheit annehmen, indem wir unseren Willen mit dem Willen Gottes vereinen. Mit der Zeit wird die treue Praxis dieser Vereinigung des Willens so wie bei Jesus zu einer völligen Einheit mit Gott führen, so dass unser Wille "kein vom Willen Gottes getrenntes Wollen mehr hat" (IX, 13). Wenn das eintritt, dann bestehen nicht mehr zwei verschiedene Willen sondern nur mehr einer, der Wille Gottes (vgl. Gal 2,20). Bevor wir den Willen Gottes annehmen können, müssen wir ihn allerdings kennen. Aus diesem Grund hat die geistliche Entscheidungsfindung einen wichtigen Platz im Leben und in der Lehre des hl. Franz von Sales. Deshalb sind die drei Schlüsselelemente der salesianischen Spiritualität die Vorsehung, die Willenseinheit und die geistliche Entscheidungsfindung. Sie sind nun die Überschriften für meine Gedanken zu meiner Amtszeit als Generaloberer.

   VORSEHUNG

   Zu diesem Zeitpunkt, fünf Monate vor dem Beginn des Generalkapitels, sind alle Delegierten zum Kapitel bereits gewählt. Nach aller Wahrscheinlichkeit wird der nächste Generalobere aus ihren Reihen kommen. Das war auch vor zwölf Jahren der Fall. Aber bevor ich zum Kapitel fuhr, hätte ich mir nie vorgestellt, dass ich für diese Aufgabe gewählt werden würde. Ich sage das nur um zu erläutern, wie unvorbereitet ich für das Geschehne auf mehreren Ebenen war. Dennoch nahm ich meine Wahl als Äußerung des göttlichen Willens an und entschied mich dazu, mich ganz auf die Verheißung der Vorsehung zu verlassen. Damit verwandelte sich meine anfängliche Angst, die zum größten Teil aus meinem Mangel an Erfahrung stammte, in ein volles Vertrauen, dass Er, der mich mit dieser Verantwortung betraut hatte, mir auch helfen würde, sie zu bewältigen. Ein stiller Friede legte sich bald über mich, und in diesen zwölf Jahren hat mich das Vertrauen in die Treue der göttlichen Vorsehung niemals verlassen. Sogar als ich mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und größere Herausforderungen vor mir standen - und gerade zu diesen Zeiten - hat mein Vertrauen in die Vorsehung nicht nachgelassen. Ich vertraute einfach, dass Gott für mich sorgen würde, und Er hat das immer wieder getan. Möge mein Nachfolger ein ähnliches Vertrauen in die Vorsehung erfahren, die nicht nur mächtig sondern auch warm und persönlich ist! Franz von Sales spricht in der Abhandlung von "Gottes leidenschaftlicher Liebe" zu uns (II, 8). Wenn wir diese leidenschaftliche Liebe mit ihrer schönsten Offenbarung im Heiligsten Herzen Jesu, des "innigen Herzensfreundes", in Verbindung setzen, lassen alle Befürchtungen nach, die Unsicherheiten verschwinden und überlassen ihren Platz einem ruhigen und festen Vertrauen. Wenn Schwierigkeiten auftreten und Herausforderungen uns zu überwältigen drohen, folgen wir einfach dem Rat unseres Patrons und erwarten wir "in der Ruhe des Geistes die Wirkungen des göttlichen Wohlgefallens " und lassen wir sein Wollen immer "genügen, denn es ist immer ganz gut." Wenn uns sein Wille aber klar geworden ist, "verwandelt sich die Erwartung in eine Einwilligung oder Zustimmung" (IX, 15). Der manchmal abstrakt klingende geistliche Rat, der sich in der Abhandlung findet, wurde für mich bald zum soliden Fundament, auf das ich die Tugend des Vertrauens in der Ausübung von salesianischer Leitung gründen konnte.

   EINHEIT im HERZEN, im WOLLEN
   und im LEBEN

   Ich war immer der Ansicht, dass unser Akzent auf der "Einheit des Wollens" am besten als natürliche Folgerung einer vorherigen und noch fundamentaleren "Einheit der Herzen" zu verstehen ist. Das war schließlich der Lebensweg des hl. Franz von Sales, der als junger Student in Paris durch seine Studien über das Hohelied begriff, dass unsere Beziehung mit Gott am besten als Liebesgeschichte zu verstehen ist. Als sich die Liebenden in diesem biblischen Gedicht finden, umarmen sie sich und sagen zueinander, dass sie einander nie mehr verlassen wollen, wobei sie die Worte äußern, die zum Wahlspruch der Oblaten werden sollten, "Tenui nec dimittam!" Und sie besiegeln dieses schöne Versprechen mit einem Kuss. Unsere Patron sagt uns in seiner Abhandlung, dass der hier erwähnte Kuss "das lebendige Zeichen der Herzensvereinigung" ist (I, 9). Die beiden Liebenden sind in ihrer gegenseitigen Zuneigung zu einem einzigen Herzen vereint. Und weil sie ein Herz sind, sind sie auch im Wollen und im Leben eins. Die schöne Einheit, die sie darin erfahren, ist die tiefste Wahrheit über die Beziehung zwischen Gott und jedem Glaubenden. Papst Benedikt XVI. drückt es so aus: "das Einander-ähnlich-Werden, das zur Gemeinsamkeit des Wollens und des Denkens führt" (Deus Caritas Est, Nr. 17). Für Franz von Sales ist eine solche warme und zarte Liebe der Anfangspunkt für den christlichen Glaubensweg. Sie ist auch das gesamte Lebensprojekt des Christen. Daher nehmen wir den Willen Gottes an, weil wir Gott lieben. Liebe und Gehorsam sind in dem Sinn eins, dass die Liebe ein ganz freier Akt ist, der uns von innen her bestimmt und sich als Treue des Herzens, des Willens und des Lebens offenbart - zu allem, was der Geliebte in jedem Augenblick des Lebens von uns will. Papst Benedikt drückte die innere Verbindung zwischen Liebe und Gehorsam sehr kraftvoll in folgenden Worten aus: "Liebe kann 'geboten' werden, weil sie zuerst geschenkt wird" (Deus Caritas Est, Nr. 14). Für Glaubende ist daher das Gebot zu lieben einfach das Gebot zu sein, was wir durch die Gnade schon sind, und das in unserem täglichen Leben auf gute Weise zu sein, das heißt in unseren Beziehungen mit Gott und den Mitmenschen. In diesem Verständnis führt die Liebe sowohl zur menschlichen Vollkommenheit wie zur christlichen Vollendung.

   Was haben diese Gedanken mit den letzten zwölf Jahren zu tun? Der Leitungsdienst bei den Oblaten ist im salesianischen Verständnis von liebender Einheit verwurzelt. Deshalb liegt in unserer Tradition die Betonung auf dem "Gewinnen der Herzen", nicht auf dem Erzwingen kraft der Autorität oder Stellung. Ich habe versucht, diese Betonung durch die Art, in der ich anderen als Generaloberer begegnet bin, umzusetzen. Zum Beispiel habe ich bei kanonischen Visitationen oder anderen Besuchen, bei den Treffen der Höheren Oberen und im meinem Umgang mit den Mitgliedern des Generalrats mir immer am meisten gewünscht, ein Mitbruder unter Mitbrüdern zu sein, jeden Oblaten entsprechend der Würde zu behandeln, die ihm als Ebenbild Gottes zu Eigen ist, und jeder Meinung ein faires Ohr und einen Platz auf dem Tisch der Entscheidung zu schenken. So weit es möglich war, habe ich versucht zu überzeugen, zu gewinnen, den Konsens zu erreichen und mich um eine gemeinsame Suche nach dem göttlichen Willen zu bemühen. Und wenn die Ausübung des Leitungsamtes nahe legte, dass ich aufstehe und deutlich sage, wozu Gott nach meinem Empfinden die Kongregation rief, habe ich das mit Klugheit und Geduld zu tun versucht. Ich wollte zu dem treu sein, was ich als Willen Gottes für uns erkannte, und zugleich für den Weg und die Meinungen derer empfindsam sein, die noch nicht zu einer ähnlichen Sicht gelangt waren. Ich habe das Gefühl, dass die Bemühungen, die zum Überzeugen nötig waren, gut eingesetzte Energien waren und dass sie außerdem in beide Richtungen wirkten. Manchmal bedeutete dieser Weg, dass wir später anlangten, als ich gehofft hatte, und manchmal gar nicht. Dennoch war auch das Gegenteil wahr. Oft führte eine Idee, die ich ursprünglich geäußert hatte, weit über das hinaus, was ich mir vorstellte oder was ich mir ausdenken hätte können. Trotzdem schloss ich daraus nicht, dass die Richtung verkehrt wäre, nur weil sie einfach nicht von mir stammte. Vielmehr versuchte ich "Ja" zu sagen zu dem Gott, der mich über meine Grenzen hinweg führte. Wie man sieht, war das Annehmen des Willens Gottes ein spannendes Abenteuer, das sowohl mich als auch die Kongregation an Plätze führte, an die niemand von uns vor diesen zwölf kurzen Jahren gedacht hätte. Derzeit denke ich oft darüber nach, wohin es uns in den nächsten zwölf Jahren führen wird. Ich bete darum, dass wir weiterhin dem göttlichen Willen gegenüber so geschmeidig, flexibel und offen bleiben, wie es unser Gründer von uns wünscht. Entlang dieses Weges werden wir mehr und mehr die Kunst lernen müssen, die Grundsätze der Einheit im Herzen, im Wollen und im Leben, die Franz von Sales ursprünglich für Einzelpersonen artikuliert hatte, an die größeren Fragen der Kongregation, der Kirche und der Welt anzupassen.

   GEISTLICHE ENTSCHEIDUNGS-    FINDUNG ["Discernment"]

   Franz von Sales sagt uns in der Abhandlung, dass wir den Willen Gottes durch Gebote, Räte und Eingebungen erfahren (Buch VIII). Gebote und Räte sind klar. Eingebungen, ob sie nun persönlich oder gemeinschaftlich sind, verlangen oft eine geistliche Entscheidungsfindung. Diese ist eine wesentliche Komponente der Leitungsaufgabe in einem Orden, besonders im salesianischen Sinn. In den letzten zwölf Jahren hat es viele Gelegenheiten gegeben, um diese Art der Entscheidungsfindung zu praktizieren. Sehr bald habe ich herausgefunden, dass die Entscheidungsfindung in der salesianischen Tradition weithin ein Schritt-für-Schritt-Prozess ist. Durch den ständigen Ablauf von Ereignissen und ein sorgfältiges Studieren der "Zeichen der Zeit" versuchen wir zu entdecken, was Gott von uns als nächsten Schritt will. In diesem Verständnis von Entscheidungsfindung sorgen wir uns nicht so sehr um das Ende des Prozesses. Häufig kennt am Beginn des Prozesses in Wahrheit nur Gott selbst sein Ende. Deshalb befassen wir uns in salesianischer Entscheidungsfindung selbst grundsätzlich nur mit "dem nächsten Schritt" und vertrauen ganz darauf, dass die Treue zu jedem nächsten Schritt uns schließlich zu dem letzten Ziel führen wird, das Gott für uns hat.

   Die Antwort auf den jeweiligen nächsten Schritt in dieser Art hat uns viele "nächste Schritte" tun lassen, einige große und einige kleine. Sie hat uns zum Beispiel von einer Gemeinschaft in Indien zu dreien gebracht und von einer wachsenden Neugründung in Indien zur Erkundung einer neuen auf den Philippinen. Sie hat uns dazu geführt, Oblaten aus Südamerika und aus Südafrika zum Dienst in der Pfarre St. Karl in Monaco einzuladen. Sie hat unseren Mitbrüdern in der Schweiz bei ihrer schweren Entscheidung geholfen, ihren Status von dem einer Provinz zu dem einer Gemeinschaft umzuwandeln. Ein ähnlicher Prozess hat kürzlich die Oblaten der Region Südamerika zu ihrer interessanten Entscheidung geleitet, ihren Status als Region in den einer Provinz zu ändern. Über den nächsten Schritt nachzudenken bedeutete oft ein "Denken außerhalb der Schachtel". Novizen aus Frankreich, Italien und Haiti haben ihr kanonisches Jahr in Brasilien verbracht oder sind gerade dabei; Mitbrüder aus Benin haben Philosophie und Theologie in Südafrika studiert und junge Kandidaten aus Yucatan prüfen ihre Berufung zu den Oblaten in ­Ecuador und Brasilien. Die Österreichisch-Süddeutsche Provinz war bereit, Berufungen aus der Ukraine aufzunehmen und auszubilden. Das Nachdenken über den nächsten Schritt hat die beiden südafrikanischen Regionen dazu geführt, einem Zusammenschluss zuzustimmen, und die Deutsche und Österreichisch-Süddeutsche Provinz sowie die Provinzen Toledo-Detroit und Wilmington/Philadelphia, sich noch regelmäßiger auf der Ebene der Provinzialräte zu treffen und auf verschiedenen Ebenen wie Ausbildung, Exerzitien oder gemeinsamen Projekten der Missionsprokura noch enger zusammenzuarbeiten. Geistliche Entscheidungsfindung führte vor fast zwölf Jahren zum Entstehen der Idee mit dem Chablais Missionsfonds. Diese hat in Folge zu einer Dekade des Nachdenkens über die Bedeutung der heutigen Missionen im In- und Ausland geführt, über den Ort und die Funktion des "Chablais Geistes" im Leben der Kongregation und zu einer Reihe von konkreten Vorschlägen für die Generalkapitel von 2000 und 2006.

   Die Beispiele könnten noch fortgesetzt werden. Aber hoffentlich ist die Aussage klar. Geistliche Entscheidungsfindung, besonders das Nachdenken über den "nächsten Schritt" ist für uns in der salesianischen Tradition nicht nur wesentlich für unsere spirituelle Überlieferung, sondern sie spielt auch eine wichtige Rolle für die Leitung im Sinn der Oblaten. Wir wollen nur das, was Gott für uns will und wollen deshalb seinen Willen ergründen, und zwar nicht nur als Einzelpersonen sondern auch als Kongregation. Wir sind verpflichtet, diesem Willen Schritt für Schritt zu folgen, so wie er sich uns kundtut. Wohin er uns führt, kann uns am Anfang unklar oder sogar unbekannt sein. Dennoch folgen wir der Führung Gottes, weil unser Vertrauen in die Vorsehung ganz fest ist. Wir werden nicht immer wissen, was kommt, aber wir können uns immer auf den Einen verlassen, der uns empfangen wird, wenn wir in Treue zu seinen Eingebungen dort ankommen. Das genügt uns, um im Glauben und in der Hoffnung jeweils den nächsten Schritt zu tun, weil wir uns sicher sind, dass die Liebe jeden unserer Schritte lenkt.

   DEUS CARITAS EST

   Vor kurzer Zeit hat der Heilige Vater seine erste Enzyklika, Deus Caritas Est, publiziert. Ihr Gegenstand, eine reichhaltige und überlegte Reflexion über das Doppelgebot der Liebe, ist es wert, dass jeder Christ sie ernsthaft studiert und im Gebet darüber nachdenkt. Die Oblaten werden in diesem wichtigen Dokument viele Themen finden, die innerhalb der salesianischen Spiritualität so zentral sind, dass sie auch von Franz von Sales selbst stammen könnten. Ich beschränke mich hier auf den ersten der beiden Teile der Enzyklika und möchte einige der "salesianischen" Elemente von Deus Caritas Est herausstreichen.

   Die erste Zeile der Enzyklika ist ein Vers aus dem ersten Johannesbrief: "Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm" (4, 16). Im weitesten Sinn buchstabiert die Enzyklika die Folgerungen aus diesem Vers, indem sie das Wesen Gottes als Liebe erklärt und ebenso das Wesen unserer Teilhabe an Gottes Liebe durch eine Einheit, die sich in affektiver und effektiver Liebe äußert.

   Papst Benedikt beschreibt die Beziehung zwischen der Liebe des Eros und der Liebe der Agape. Für die Menschen der Antike war der Eros eine Ekstase oder eine Bewegung, die aus sich selbst heraus auf eine Einheit mit dem Göttlichen gerichtet ist. Für den Heiligen Vater kann der Eros nicht nur "ein rauschhafter Augenblick" sein, wie das für viele von ihnen der Fall war. Gereinigt durch den Glauben wird er vielmehr ein "ständiger Weg aus dem in sich verschlossenen Ich zur Freigabe des Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung, ja, zur Findung Gottes" (Nr. 6). Franz von Sales beginnt auch mit dem Hinweis auf die Ekstase. In ihrer ersten Stufe ist die Ekstase für ihn etwas ganz Neutrales. Sie bedeutet einfach ein "Heraustreten aus sich selbst" (Abhandlung I, 10). Sowohl Franz von Sales wie Papst Benedikt wollen dieses Heraustreten aus sich auf eine liebende Einheit mit Gott hinlenken und von diesem Einssein zu einer Einheit mit dem Nächsten durch konkrete Taten von spürbarer Liebe. In anderen Worten, beide wollen die Liebe des Eros mit der Liebe der Agape ausgleichen und ergänzen, indem die letztere die erste reinigt und ihr eine Richtung verleiht, die sich von der Lehre der Hl. Schrift und vom Beispiel Christi und seiner Heiligen ableitet.

   Für den Heiligen Vater wie für Franz von Sales findet sich eine der besten biblischen Erklärungen für die Liebe im Hohenlied (Nr. 6 und 10). Dieses kurze Buch verwendet zwei Wörter für die Liebe. Das eine Wort dodim - ein Plural - meint "die noch unsichere, unbestimmt suchende Liebe". Das andere Wort ahaba, das in der griechischen Fassung des Alten Testamentes als agape übersetzt wird, geht über den egoistischen Zug des dodim hinaus zu einer wirklichen "Entdeckung des anderen" und meint eine "Sorge um den anderen und für den anderen". Sie sucht sich nicht mehr selbst; "sie will das Gute für den Geliebten: Sie wird Verzicht, sie wird bereit zum Opfer, ja sie will es".

   Für den Heiligen Vater findet die agape ihren vollsten Ausdruck in Jesus, besonders in seinem durchbohrten Herzen (Nr. 7, 12, 18). Vom Beispiel Jesu lernen wir, dass die Liebe Gottes leidenschaftlich, wohlwollend, vergebend und leidend ist. Sie ist auch konkret: Gott liebt jeden von uns in einer persönlichen Weise, sogar bei seinem Vor- und Nachnamen (Abhandlung XII, 12). Das durchbohrte Herz Jesu offenbart das tiefste Wesen der Liebe Gottes zu uns als eine leidenden Liebe. Es zeigt uns auch das christliche Modell für unsere Liebe zueinander. Aus diesem Grund nennt Franz von Sales den Kalvarienberg "die wahre Schule der Liebe" und er ruft am Ende seiner Abhandlung aus: "O Liebe über alle Liebe des Herzens Jesu, welches Herz wird dich jemals hingebungsvoll genug preisen!" (XII, 12) In der Betrachtung der durchbohrten Seite Christi "findet der Christ den Weg seines Lebens und Liebens" (Nr. 12).

   Die Enzyklika sagt uns, dass Jesus seinem "Akt der Hingabe" am Kreuz eine "bleibende Gegenwart ... durch die Einsetzung der Eucharistie während des Letzten Abendmahles" verliehen hat. Die Eucharistie "zieht uns in den Hingabeakt Jesu" und "in die Dynamik seiner Hingabe"  hinein (Nr. 13). Die Einheit mit Christus in der Eucharistie führt uns zur "Einheit mit allen Christen". Deshalb ist "in der eucharistischen Gemeinschaft ... das Geliebtwerden und Weiterlieben enthalten" (Nr. 14). In voller Übereinstimmung mit diesen Gedanken nennt Franz von Sales die Eucharistie "die Sonne der geistlichen Übungen" (Abhandlung II, 14).

   In der gesamten Heilsgeschichte sucht Gott unsere Herzen zu gewinnen (Nr. 17). Das gipfelt in Christus und setzt sich in seiner Kirche fort. Franz von Sales würde das genauso sehen. Das "Gewinnen der Herzen" wird zu einer zentralen Idee in seinem Verständnis von christlicher Praxis: "Wer das Herz des Menschen gewonnen hat, besitzt den ganzen Menschen" (Abhandlung III, 23). Das ist die Art, in der Jesus sanftmütig und demütig von Herzen mit den Menschen umgegangen ist und wie wir Christen miteinander umgehen sollen.

   Papst Benedikt schreibt in kühnen Worten, dass Gottes leidenschaftliche und vergebende Liebe so groß ist, "dass sie Gott gegen sich selbst wendet, seine Liebe gegen seine Gerechtigkeit" (Nr. 10). Franz von Sales sagt etwas ganz Ähnliches in seiner Abhandlung, wenn er in Bezug auf Jak 2,13 schreibt, dass Gottes "Barmherzigkeit weiter reicht als seine Gerichte" und wenn er den Gedanken von 1 Tim 2,4 aufnimmt, dass Gott "will, dass alle Menschen selig werden und keiner verloren gehe" (II, 8).

   Der Heilige Vater spricht oft von der Liebe im Sinn von Einheit. Er schreibt zum Beispiel von der "Willensgemeinschaft", von der "Gemeinsamkeit des Wollens und des Denkens" und von der "Gemeinschaft des Denkens und Fühlens". Er nimmt so wie Franz von Sales an, dass "unser Wollen und Gottes Wille immer mehr ineinanderfallen", dass "der Wille Gottes nicht mehr ein Fremdwille ist für mich ..., sondern mein eigener Wille" (Nr. 17). Franz von Sales beschreibt die Liebe als Einheit des Herzens und des Willens (Abhandlung I, 9). Er spricht auch von einer Einheit der beiden Willen, von einem Willen, der ganz "im Willen Gottes versunken" ist (Abhandlung IX, 13). Wenn unsere liebende Verbundenheit mit Gott zur Einheit wird, dann beginnen wir Jesus zu leben. Eigentlich beginnt Jesus in uns zu leben und durch uns in unserer heutigen Welt zu handeln (vgl. Gal 2,20). So verwirklicht sich in den Oblaten die Prophezeiung der Guten Mutter, dass man den Heiland durch uns erneut über die Erde schreiten sieht.

   Das sind nur ein paar Beispiele des "salesianischen" Geschmacks der Enzyklika Deus Caritas Est. Ich ermuntere euch alle, meine lieben Mitbrüder, sie selbst zu lesen und zu studieren. Ihr werdet darin die päpstliche Bestätigung dafür finden, was wir Oblaten in unserem Leben ernsthaft zu verwirklichen wünschen und was wir unbedingt mit anderen Menschen teilen möchten!

   Personalverzeichnis mit Nekrologium
   und Bericht des Generaloberen
   an das Generalkapitel

   Eine neue Ausgabe des Personalverzeichnisses und des Nekrologiums wird demnächst veröffentlicht und jedem Oblaten übermittelt werden. Die Daten dafür werden auf der Webseite der Kongregation monatlich auf den neuesten Stand gebracht. Die Webseite enthält auch andere hilfreiche Informationen und kann unter der Adresse www.desalesoblates.org aufgerufen werden. Änderungen mögen bitte, so bald sie feststehen, direkt an Hans Angleitner unter gym-dachsberg@eduhi.at mitgeteilt werden.

   Weil diese Daten allen Oblaten, die einen Internetanschluss haben, zur Verfügung stehen, ist beim Treffen des Generalrates im Januar die Frage aufgetaucht, ob eine gedruckte Ausgabe des Personalverzeichnisses immer noch notwendig sei. Es wurde entschieden, dass mindestens jetzt die Verfügbarkeit dieses Personalverzeichnisses sowohl im Internet wie auch im Druck sinnvoll und notwendig erscheint.

   Art. 256 besagt, dass der Generalobere am Anfang eines Generalkapitels "einen durch den Generalrat genehmigten Bericht über die spirituelle, disziplinäre und wirtschaftliche Situation der Kongregation" vorlegt. Wenn das Generalkapitel beginnt, wird dieser Bericht auch in verschiedenen Sprachen auf der Webseite der Kongregation zugänglich sein.

   Jubiläen und besondere Ereignisse

   Dieses Jahr ist voller Jubiläen und anderer besonderer Ereignisse. Am 25. März 2006 haben unsere holländischen Mitbrüder formell ein neues Provinzialat mit salesianischem Zentrum eröffnet, und im Dezember konnten sie die Goldene Ausgabe ihrer Zeitschrift Salesiaans Contact veröffentlichen. In diesem Jahr feiert die Österreichisch-Süddeutsche Provinz ihr 100-jähriges Bestehen. Eine größere Feier wird am Wochenende des 27./28. Mai in Wien stattfinden. Am Sonntag, 6. August 2006, werden die Kapitulare des Generalkapitels dieses Jubiläum in Fockenfeld feiern. In diesem Jahr wird auch das 100-jährige Bestehen der salesianischen Zeitschrift Licht, die von dieser Provinz herausgegeben wird, gefeiert. Papst Benedikt XVI. hat ein Glückwunschschreiben an seine Herausgeber, Verfasser, Förderer und Leser übermittelt und ihnen allen darin seinen apostolischen Segen erteilt. Am 21. April 2006 werden die Mitbrüder der Region Südamerika zum Anlass des 75-jährigen Professjubiläums und des 70-jährigen Priesterjubiläums ihres verehrten P. Theodor Syberichs ein Jubiläumsjahr einleiten, mit dem sie 100 Jahre Leben und Dienst der Oblaten in Rio Grande do Sul in Brasilien feiern. Am 9. Februar 2006 haben sich die Mitglieder der Region Südamerika zu einem Kapitel getroffen und dafür gestimmt, ihren Status von dem einer Region zu dem einer Provinz umzuwandeln. Diese Statusänderung wurde am 1. März vom Generaloberen und seinem Rat genehmigt und wird formell im Februar 2007 in Kraft treten. Die ICSS feiert das 30. Jahr ihrer Förderung und Koordination sowie der Verbreitung von salesianischer Spiritualität in der ganzen Welt, die sie in Zusammenarbeit mit vielen anderen Mitgliedern der salesianischen Familie wahrnimmt. Herzliche Gratulation und die besten Wünsche an alle Provinzen, Regionen und Mitbrüder, die von diesen freudigen Anlässen, Feierlichkeiten und Jubiläen betroffen sind!

   "Es steht mir nicht mehr zu,
   mit der Kutsche zu fahren"

   Zur Zeit der Guten Mutter bestand eines der Vorrechte der Oberin der Heimsuchung von Troyes darin, mit der Pferdekutsche rund um die Gründe des Kloster fahren zu dürfen. Deshalb hat die Gute Mutter, als sie nicht mehr Oberin war, in humorvoller Weise gemeint: "Ich bin nicht mehr bevollmächtigt, mit der Kutsche zu fahren." Sie folgte damit einfach einer altehrwürdigen Tradition des Heimsuchungsordens, nach der die vormalige Oberin ein Jahr lang den niedrigsten Rang innerhalb der Gemeinschaft einnahm. Diese Tradition gab ihr die Gelegenheit, Demut zu üben, eine der kennzeichnenden Tugenden des Ordens. Sie eröffnete außerdem der neuen Oberin den Raum, ihre eigenen Einsichten und Visionen von der Gemeinschaft umzusetzen. Im Sinne des Geistes dieser ehrwürdigen Tradition werde ich die Kapitulare des Generalkapitels darum bitten, mich nicht als Kandidaten für die Position eines Generalrats in Betracht zu ziehen. Vor zwölf Jahren wurde ich aus der relativen Unbekanntheit eines Oblatenlehrers für Theologie und Spiritualiät heraus in diese Position gewählt. Obwohl es wirklich eine große Ehre war, der Kongregation in diesen zwölf Jahren als Generaloberer zu dienen, bin ich nun bereit abzutreten und das Leben eines "Père déposé" zu führen. So wie die Gute Mutter bin ich "nicht mehr bevollmächtigt, mit der Kutsche zu fahren!"

   Schlussbemerkungen

   Wenn ich mich nun darauf vorbereite, von diesem Amt abzutreten, möchte ich um Vergebung bitten, wenn ich in der Ausübung meines Amtes jemanden von euch, meine Oblaten-Mitbrüder, in irgendeiner Weise verletzt habe. Das war sicher nie meine Absicht. Am Ende dieser zwölf Jahre bin ich älter und hoffentlich etwas weiser geworden. Ich bin außerdem jedem von euch sehr dankbar. Ihr, meine Oblaten-Mitbrüder, seid begabte, gute und sehr großherzige Menschen. Ihr habt meinen Dienst unter euch zu einer unglaublichen Freude und bleibenden Genugtuung gemacht. Für das bin ich euch aufrichtig und für immer dankbar!

 

   In brüderlicher Verbundenheit
   durch unseren heiligen Patron
   und unsere heiligmäßigen Gründer,
   Lewis S. Fiorelli, OSFS,
   Generaloberer