Es lebe Jesus!
20.
Rundbrief des Generaloberen März
- April
Lewis S. Fiorelli, OSFS 2003
OPTIMISMUS:
HEUTZUTAGE NAIV?
Wenn es für uns und unsere Welt jemals eine
Zeit für den salesianischen Optimismus gegeben hat, dann ist dieser jetzt an
der Zeit! Salesianischer Optimismus darf nicht mit Naivität verwechselt werden.
Wir sind uns der traurigen Folgen von individueller und sozialer Sünde sehr
bewusst, ebenso wie der schädlichen Auswirkungen ungerechter politischer und
wirtschaftlicher Strukturen in vielen Gesellschaften. Wir stecken weder unseren
Kopf in den Sand noch verschließen wir die Augen vor Krieg und Terror. Weil wir
den bekannten Optimismus unseres Patrons teilen, weigern wir uns, dass Fehler
oder Sünde, Terror oder Unheil zur Musik werden, nach der wir tanzen. Wir
glauben vielmehr, dass die Gnade Gottes am Kreuz Christi Sünde und Tod
jeglicher Art überwunden hat. Sogar angesichts der gegenwärtigen
Offensichtlichkeit des Gegenteils bleibt unser Vertrauen in Gott
unerschütterlich: letztlich wird Gottes Liebe und Güte in allen Angelegenheiten
des Menschen triumphieren. Unser frohes Vertrauen und unser standhafter
Optimismus sind nicht in uns selbst begründet sondern in unserem guten und
vorsehenden Gott, der jeden von uns mit Vor- und Nachnamen kennt und jeden als
sein besonderes Eigentum schätzt (Abhandlung XII, 12). Wir sind ein Teil der
Schöpfung Gottes, einer Schöpfung, die er mit sorgender und zarter Liebe
behütet und erhält. Das tröstende Wissen, dass wir innig mit diesem Gott als
unserem Ursprung und Ziel verbunden sind, bildet die Wurzeln des salesianischen
Optimismus.
Alle sechs Monate trifft sich der Generalrat.
Ein wichtiger Tagesordnungspunkt bei all diesen Treffen ist eine Begutachtung
der "Lage der Kongregation". Diese Einschätzung wird dadurch
erreicht, dass die Hauptfragen betrachtet werden, die in jeder Provinz oder
Region anstehen. Wir haben eine solche Einschätzung bei unserem Treffen im
Januar 2003 in Monaco versucht. In deren Verlauf kamen wir zu dem Schluss, dass
ein Hauptthema für das Generalkapitel 2006 ein ernsthaftes Nachdenken über die
Frage einer möglichen Neustrukturierung der Kongregation sein sollte.
Schon vor längerer Zeit, im Rundbrief Nr. 3
aus dem Jahr 1995, habe ich darum gebeten, die Möglichkeit einer
Neustrukturierung der Kongregation zu überdenken, "um den
Herausforderungen besser begegnen zu können, die sich vielen von uns durch eine
Abnahme unserer Mitgliederzahl, zunehmendes Alter und wachsende apostolische
Nöte stellen". Zur Zeit, als dieser Brief geschrieben worden war, habe ich
informelle Gespräche und gemeinsame Unternehmungen unter "Oblaten mit
gemeinsamer Sprache, Kultur oder Geschichte oder solchen mit gemeinsamen
Grenzen" vorgeschlagen. Das Generalkapitel des Jahres 2000 hat eine
Einladung an die Höheren Oberen und ihre Räte gerichtet, in einen Prozess
einzusteigen, dessen Ziel die "mögliche Neu-Anordnung von Provinzen oder
Regionen ist, die entweder eine historische, kulturelle oder geografische Nähe
zueinander haben." Glücklicherweise sind viele solcher gemeinsamen
Bemühungen in den letzten acht Jahren bereits unternommen worden, und viele
dauern bis heute mit weithin zufrieden stellenden Ergebnissen an. Es mag
dienlich sein, von einigen Beispielen solcher gemeinsamer Schritte zu
berichten: ein gemeinsames Noviziat der beiden amerikanischen Provinzen, ebenso
wie der Österreichisch-Süddeutschen und der Deutschen Provinz; die Teilnahme
zweier italienischer Novizen am Noviziat der Südamerikanischen Region; ein
internationales Scholastikat in Pretoria mit Scholastikern aus Südafrika,
Namibia und Bénin; eine Diskussion über ein gemeinsames Noviziat der Regionen
Keimoes-Upington und Keetmanshoop; regelmäßige Treffen der Provinzialräte und
gemeinsame Exerzitien unter einer Reihe von Provinzen; und zwei Treffen von
europäischen Oblaten.
Dennoch haben die Gründe, die 1995 gegeben
waren, um informelle Bemühungen zur Neustrukturierung anzuregen, heute noch
größere Dringlichkeit. Es ist deshalb die einhellige Meinung der Generalräte,
dass jetzt die Zeit gekommen ist, um sich mit dieser Neustrukturierung in einer
mehr formellen Weise und auf der Ebene der gesamten Kongregation zu befassen.
Die Mitglieder des Generalrates werden an dieser wichtigen Frage im Laufe der
nächsten dreieinhalb Jahre arbeiten, die wir bis zum 18. Generalkapitel noch
zur Verfügung haben, um eine fruchtbare Diskussion und mögliche Beschlüsse zu
diesem Thema durch die Mitglieder dieses Kapitels vorzubereiten.
Im Juli 2003 werden wir zum Beispiel in der
Generalleitung unsere eigenen Reflexionen zu dieser Frage fortsetzen, wobei wir
auch die Möglichkeit erkunden, jemanden einzuladen, der mit einer
Neustrukturierung in anderen Kongregationen vertraut ist und mit uns im Januar
2004 und mit den Höheren Oberen im Juli 2004 zusammentrifft. Wenn es nach den
Erfahrungen dieser Treffen angemessen erscheint, werden wir diesen (oder einen
anderen) Experten einladen, an der Vorbereitungskommission im Juli 2005 und am
Generalkapitel 2006 teilzunehmen. Es ist möglich, dass wir im Verlauf dieser
Treffen konkrete Vorschläge über eine Neustrukturierung zustande bringen, mit
denen sich das Kapitel befasst und über die es dann auch abstimmt. Vorschläge
zu diesem Thema können natürlich auch von individuellen Oblaten und Gruppen von
Oblaten kommen. Konkrete Vorschläge, über die beim 18. Generalkapitel
abgestimmt werden könnte, sind etwa die folgenden: Die Kapitulare könnten
zunächst entscheiden, ob sie (1) die Notwendigkeit der Neustrukturierung sehen
und, wenn so, dann (2) festlegen, welches besondere Muster dieser
Neustrukturierung für unsere Kongregation am besten geeignet erscheint.
Schließlich könnten sie (3) entscheiden, wie dieses Muster in den Jahren nach
dem Generalkapitel umgesetzt werden soll.
Wenn jemand von euch beim Lesen dieses Briefes
irgendwelche Anregungen oder Einsichten zu diesem Thema hat, die er gerne dem
Generalrat zur Überlegung geben möchte, dann soll er bitte nicht zögern,
jemanden von uns zu kontaktieren. Wenn jemand eine Person kennt, die mit
Neustrukturierung dieser Art vertraut ist und vielleicht bereit wäre, mit uns
zusammenzuarbeiten, dann würde ich mich über eine Mitteilung darüber sehr
freuen. Je mehr Input wir in den nächsten Jahren zu diesem Thema erhalten
können, desto besser, weil die Neustrukturierung uns alle betreffen wird. In
diesem Fall sind, wie in vielen anderen, mehr Köpfe besser als einer!
P. Alexander Pocetto hat gebeten, dass er als
Mitglied und Vorsitzender des Internationalen Komitees für salesianische
Spiritualität zurücktreten möchte, wenn seine gegenwärtige Amtszeit am 1.
August 2003 endet. Die Kongregation schuldet P. Pocetto ein großes Maß an
Dankbarkeit. Mit unerschütterlichem Charme und ansteckender Freude hat er die
Arbeit der Kommission viele Jahre geleitet. Kompetenz und Sorgfalt haben seine
Amtszeit gekennzeichnet. In seinem Enthusiasmus für die Segnungen des
elektronischen Zeitalters hat er viel dafür geleistet, die Arbeit der ICSS ins
Internet zu bringen. Danke, P. Pocetto, für deine hervorragende Arbeit!
Ich freue mich mitteilen zu dürfen, dass P.
Joseph F. Chorpenning aus der Wilmington-Philadelphia Provinz die Ernennung zum
Mitglied und Vorsitzenden der Kommission durch den Generalrat angenommen hat.
P. Chorpenning, ein anerkannter salesianischer und theresianischer
Wissenschaftler, hat an vielen Projekten gearbeitet, die christliche Kunst und
Spiritualität vereinen. In den letzten Jahren hat sein wissenschaftliches
Interesse der Forschung und den Schriften über die Spiritualität der Hl.
Familie nach den Arbeiten von Papst Johannes Paul II. gegolten, sowie der
Berufung und Sendung des hl. Josef. Erst kürzlich hat er eine Arbeit
herausgegeben, in der die verschiedenen Spiritualitäten beleuchtet werden, die
auf den Glasfenstern aller Kirchen, Kapellen und Oratorien der Erzdiözese von
Philadelphia in den U.S.A. dargestellt sind. Diese großartige Arbeit wird zu
Recht als wesentlicher Beitrag zum geistlichen Erbe der Erzdiözese betrachtet.
In P. Chorpenning hat das Anliegen der Kongregation, die salesianische Lehre
und Spiritualität in der heutigen Welt zu verbreiten, einen fähigen und
kompetenten Wegweiser gefunden. In eurem Namen danke ich ihm dafür, dass er
diese Aufgabe angenommen hat und wünsche ihm viel Erfolg dabei.
KOMITEES für die MISSIONEN
Im 19. Rundbrief habe ich von der Errichtung
von zwei Ad-hoc-Komitees für die Missionen der Oblaten gesprochen. Das
"Komitee für die Missionen der Oblaten im 21. Jahrhundert" wird einen
umfassenden Plan für den missionarischen Geist der Kongregation (ihren
Chablais-Geist) und ihre missionarischen Aktivitäten im neuen Jahrhundert
formulieren. Dieser Plan, möglicherweise mit konkreten Vorschlägen versehen,
wird dem Generalkapitel 2006 vorgelegt werden. In diesem Rundbrief möchte ich
die Mitglieder dieses Komitees bekannt machen: PP. Josef Költringer
(Vorsitzender), James Cryan, Aldino Kiesel und Jan Mostert.
Das zweite Komitee, das "Komitee für den
Chablais Fonds" hat als Hauptaufgabe den Aufbau und die Verwaltung der
Chablais Stiftung für die Missionen der Oblaten, und ich möchte an dieser
Stelle auch dessen Mitglieder vorstellen: PP. Joseph Morrissey (Vorsitzender),
Franz Aregger, Konrad Esser, Josef Költringer and als Berater der Generalökonom
P. Rainer Vorsmann.
Beide Komitees wurden im Anschluss an das
Treffen der Höheren Oberen mit dem Generalmissionskoordinator und den
Missionsprokuratoren der Kongregation im Juli 2002 errichtet. Die
missionarische Tätigkeit der Kongregation stellt eine wesentliche Teilhabe an
der grundlegenden Sendung der Kirche zur Evangelisierung dar. Gemäß unserem
Charisma als Oblaten ist sie auch ein wesentlicher Teil unserer fortwährenden
Bemühungen, die salesianische Spiritualität zu denen zu bringen, die bereits an
Christus glauben. Durch die Formung in der Spiritualität unseres Patrons werden
sie noch mehr befähigt, ihre liebende Einheit mit Gott zu vertiefen und, indem
sie Jesus leben, ihre Herzen, ihren Willen und ihr Leben noch inniger mit dem
heiligen Willen Gottes in jedem gegenwärtigen Augenblick ihres Lebens zu
vereinen. In diesem Licht betrachtet ist die Arbeit dieser Komitees grundlegend
und wichtig sowie außerdem zentral für die Sendung der Kongregation. Begleitet
mich bitte im Gebet um den Erfolg für ihre Bemühungen.
VORBEREITUNG DES
18. GENERALKAPITELS 2006
Obwohl es noch drei Jahre vor uns liegt, ist
es nicht zu früh, mit den Planungen für das nächste Generalkapitel zu beginnen.
Aus diesem Grund möchte ich bekannt geben, dass ich nach Beratung mit den
Mitgliedern des Generalrates und mit Zustimmung ihres Provinzials P. Sebastian
Leitner zum Vorsitzenden der Vorbereitungskommission für das 18. Generalkapitel
und Diakon Thomas Mühlberger zu seinem Assistenten ernannt habe. Bei diesen
beiden Mitbrüdern werden die vielen Aufgaben vor dem Kapitel wie auch die
täglich dafür anfallenden Erledigungen in sehr kompetenten Händen sein. In
eurem Namen danke ich beiden dafür, dass sei diesen anspruchsvollen und sehr
wichtigen Dienst für die Kongregation übernommen haben.
TOD VON BISCHOF
ANTONIO CHIMINELLO
Der Tod eines jeden Mitbruders ist ein
trauriges Ereignis. Wenn dieser Tod zu früh kommt, ist der Verlust umso
schmerzlicher. Und wenn der, um den wir trauern, der junge Bischof eines
unserer ältesten Missionsgebiete ist, der von den Oblaten und Oblatinnen in
beiden Kongregationen ebenso wie von den Menschen, denen er so lange und so gut
gedient hat, geschätzt und geliebt wurde, dann ist der Verlust besonders
bitter. Genau das war beim Tod von Bischof Antonio Chiminello am 23. November
2002 der Fall. P. Mark Mealey und ich konnten an seinem Begräbnis in
Keetmanshoop teilnehmen. In eurem Namen haben wir die Mittrauer und das Gebet
der Kongregation gegenüber der Familie des Bischofs, den Mitbrüdern der Region
von Keetmanshoop und den Menschen der Diözese zum plötzlichen Abschied von
ihrem geliebten Hirten zum Ausdruck gebracht.
FREUNDE DER GUTEN MUTTER
Wie ihr wisst, ist das Dörfchen von Soyhières
in der Schweiz der Geburtsort der Guten Mutter. Aus Anlass des 900-jährigen
Gründungsjubiläums wird eine Schrift erscheinen, in der das Leben der drei
heiligmäßigen Menschen, die aus diesem Ort stammen, gewürdigt wird. Diese drei
heiligmäßigen Menschen sind die Gute Mutter, die hl. Léonie Aviat und P.
Blanchard (+ 1824). Wir kennen die Namen der beiden Frauen gut, sind vielleicht
aber mit dem von P. Blanchard nicht vertraut. Er war ein Diözesanpriester, der
1824 "im Ruf der Heiligkeit" in der Pfarre von Soyhières verstorben
ist und in der Krypta der dortigen Kirche begraben liegt.
Zum selben Anlass ist "L' Association des
Amis du Père Blanchard et de la Mère Chappuis" gebildet worden. Diese
Organisation setzt sich aus diözesanen Amtsträgern, Ordensleuten und Laien
zusammen. Angeregt durch diese drei heiligmäßigen Menschen wollen sie deren
Leben genauer kennenlernen und deren Geist noch mehr verbreiten. Oblaten beider
Kongregationen sind eingeladen worden, jeweils einen Vertreter für den Vorstand
dieser neuen Vereinigung zu ernennen. Ich freue mich mitteilen zu dürfen, dass
unser Schweizer Mitbruder P. Franz Aregger unsere Kongregation vertreten wird.
Meine weitreichende Hoffnung ist, dass uns
diese Gruppe eines Tages, wenn die Zeit dafür gekommen sein wird, in der
Förderung des Seligsprechungsprozesses der Guten Mutter unterstützen wird.
CHRISTLICHER HUMANISMUS
In letzter Zeit hatte ich zwei Mal
Gelegenheit, über christlichen Humanismus und das salesianische Verständnis der
Beziehung zwischen Gott, der Schöpfung und der Menschheitsfamilie zu sprechen.
In diesem Rundbrief möchte ich einige von meinen Gedanken zu diesem wichtigen
Thema salesianischer Spiritualität mit euch teilen.
Im Ausdruck "Christlicher
Humanismus" bezieht sich Humanismus auf die Hochschätzung der Renaissance
für menschliche Leistungen in Literatur, Kunst und Wissenschaft. Vor Allem in
den Wissenschaften kam es dabei auch zur Unterscheidung zwischen Glauben und
Vernunft und zu deren Einschätzung als parallele, getrennte und für manche sogar
unvereinbare Zugänge zur Wirklichkeit. Solch eine Trennung gefährdet die innige
Beziehung zwischen Schöpfer und Schöpfung im jüdisch-christlichen Sinn und
somit das unzertrennliche Band zwischen der Wahrheit des Glaubens und
menschlichem Verhalten oder menschlicher Leistung.
"Christlicher" Humanismus schätzt
zwar menschliche Errungenschaft jeder Art auch ganz hoch, sieht sie aber in der
grundlegendsten Wahrheit über die Menschheitsfamilie verwurzelt: dass wir nach
Gottes Ebenbild geschaffen sind und daher innig auf Ihn als unseren Ursprung
und unser Ziel bezogen sind. Nach dem Beispiel aus dem Buch Genesis beginnt der
christliche Humanismus mit der Anerkennung der individuellen Person, die als
Schöpfung nach dem Bild und Gleichnis Gottes mit tiefster Würde erfüllt ist und
deshalb mit aufrichtiger Achtung, unerschöpflicher Freundlichkeit und
beständiger Ehrerbietung behandelt werden muss. Außerdem ist der
Menschheitsfamilie eine neue göttliche Tiefe eigen, weil sie durch die
Inkarnation und Erlösung unwiderruflich mit Gott verbunden ist. Das bedeutet,
dass wir unsere Menschlichkeit auf unserer Suche nach Heiligkeit niemals über
Bord werfen müssen. In dieser Tradition ist der Heilige vielmehr die vollendete
menschliche Person.
Deshalb betont der christliche Humanismus,
dass wir aus Gnade nicht nur Freunde Gottes sind sondern auch seine Partner,
indem wir den schöpferischen Geist durch die Geschichte hindurch fördern. In
diesem Licht ist jede menschliche Errungenschaft, wenn sie auch noch so klein
ist, zugleich eine Würdigung unserer Beziehung mit Gott und auf eine sehr
wirkliche Weise eine Förderung des göttlichen Planes für die Menschheitsfamilie
und die gesamte Schöpfung.
Gläubiger und Denker
Franz von Sales trug seinen Zeitgenossen auf:
"Sei, was du bist und sei es gut!" (Brief an Frau Brûlart, 10. Juni
1605, OEA 13, S. 53 f.) Weil Christen sowohl Gläubige als auch Denker sind,
sollen sie in allen Dingen nach der tieferen Wahrheit suchen. Die christliche
Aussage, dass Gott Schöpfer ist, erlaubt uns zum Beispiel zu behaupten, dass
die Wahrheiten des Glaubens grundsätzlich immer in Einklang mit den Wahrheiten
der verschiedenen Wissenschaften stehen. Sie stammen von der einen Quelle und
sind auf das eine gemeinsames Ziel ausgerichtet. Obwohl das nicht immer unmittelbar
klar ist, können wir davon überzeugt sein, und diese Wahrheit kann unsere Suche
nach Wissen leiten und uns darauf hinweisen, wo dieses Wissen im Dienst an der
Schöpfung einzusetzen ist. Viele Humanisten in der Schule der klassischen
Renaissance waren überzeugt, dass sie sich entweder dem Glauben mit seinen
Ansprüchen an Verhalten und Praxis hingeben müssen oder der unbeschränkten
Suche nach wissenschaftlicher Wahrheit, wohin immer diese führen mag. Der
christliche Humanist weiß sich auf der anderen Seite der Wahrheit beider
verpflichtet, und er macht in seinen Gedanken wie auch in seinem Leben ihr
wesentliches Aufeinander-Bezogensein sichtbar. Die Wissenschaft stärkt den
Glauben, und der Glaube leitet die Suche nach Wissen, wobei beide im Dienst der
Mitmenschen und der Schöpfung selbst stehen.
Die Weltsicht des christlichen Humanisten ist
wie ein nahtloses Gewand. Der Glaube geht Hand in Hand mit der Vernunft, die
Theorie gibt der Praxis Form und Richtung, die Überzeugung krempelt ihre Ärmel
zur Verbesserung der Welt auf. Als kritische Denker und treue Gläubige setzen
christliche Humanisten ihre von Gott gegebenen Gaben im Dienst an den
Mitmenschen ein und fördern den schöpferischen Fortschritt in den
Wissenschaften und Künsten gemäß dem göttlichen Plan. Sie sind
verantwortungsvolle Bürger, die sich aktiv in ihren örtlichen, nationalen und
internationalen Gemeinschaften engagieren. Als voll integrierte menschliche
Wesen, die das göttliche Bild in sich selbst und in jeder anderen Person
schätzen, arbeiten sie unermüdlich daran, dieses Bild in Allen zu vergrößern
und zu verteidigen. Sie tun das, indem sie in Gerechtigkeit und Frieden zu
allen Völkern gehen, besonders aber zu denen, die sich am Rand der Gesellschaft
und ohne Anwaltschaft finden.
Christ und Humanismus
Definitionsgemäß ist christlicher Humanismus
zutiefst auf die Person und Sendung Jesu bezogen. Nach der Sicht des hl. Franz
von Sales ist Jesus "Gottes Kuss an die Schöpfung", ihr Höhepunkt und
ihre Vollendung. Daher findet die Schöpfung im Menschsein Jesu ihre
vollkommenste Antwort an ihren Schöpfer, ihren schönsten Ausdruck von Gebet und
Lobpreis und ihre vollständigste Einheit mit Gott im Willen und im Leben. Aus
diesem Grund ist die Weise, wie Jesus diese kurze Leben unter uns lebte, das
Beispiel und Modell dafür, wie wir unser Leben in liebender Einheit mit Gott
und dem Nächsten leben sollen.
Jesus pflegte seine tiefe Verbundenheit mit
Gott. Er vertiefte diese Verbundenheit, indem er ganze Nächte im Gebet zu
seinem Vater verbrachte. Und er machte sich aus diesem Gebet heraus - als
Antwort auf den Willen Gottes - auf, den Menschen mit Mitgefühl und Liebe zu
dienen. Auf diese Weise kam Gottes Frohe Botschaft in Jesus zu uns, der die
Hungrigen speiste, die Ausgestoßenen und am Rand Stehenden zu seinen Freunden
machte und verteidigte, den Armen predigte und für die Sünder starb. Ungeachtet
seiner Gottheit kam er zu uns in der Güte und Niedrigkeit des Guten Hirten. Er
suchte nach dem verlorenen Schaf und versorgte es, nachdem er es gefunden hatte,
zärtlich, trug es mit lächelnder Freude auf seinen Schultern und brachte es zur
Herde zurück. Nach der Lehre Jesu ist jeder von uns dieses verlorene Schaf.
Jeder von uns wurde gesucht, gefunden und vom Herrn liebevoll zur
Heilsgemeinschaft der Kirche zurückgebracht. Ebenso sollen wir einander
behandeln - gleich, wie weit wir uns verirrt haben oder wie oft wir verloren
gegangen sind.
Christliche Humanisten werden auch nicht das
Beispiel der verborgenen Jahre des Lebens Jesu übersehen. Dreißig Jahre lang
lebte und arbeitete Jesus im Rahmen einer liebevollen Familie und unter
Freunden und Nachbarn. Diese verborgenen Jahre eines schlichten Familienlebens
sagen uns, dass ein Hauptaspekt unserer täglichen Tugendpraxis - besonders
jener Haltungen, die Franz von Sales die "kleinen Tugenden" nennt,
wie Nächstenliebe, Geduld, Sanftmut, Ausgeglichenheit, Demut, Zartheit und
Freundlichkeit - immer jene Menschen sein müssen, mit denen wir das Leben
teilen und mit denen wir arbeiten oder spielen. Wir wissen, dass christliche
Nächstenliebe niemals dort aufhört, aber immer im eigenen Haus beginnt!
Kurz gesagt, sind für den christlichen
Humanisten die Wahrheiten des Glaubens, die Tugendpraxis und die moralischen
Regeln niemals vom täglichen Leben in dieser Welt zu trennen noch von unseren
kreativen Bemühungen, die Schöpfung zu bewahren, menschliche Errungenschaften
voranzutreiben und anderen in Frieden und Gerechtigkeit zu dienen. Alle Aspekte
unsere Bezogenheit auf Gott, die Schöpfung und andere Menschen bilden ein nahtloses
Gewand, dessen Gewebe die Liebe ist, die Jesus uns vorgelebt hat und zu der uns
sein Hl. Geist befähigt. Das ist der Grund, warum gemäß der salesianischen
Tradition, "in der heiligen Kirche alles durch die Liebe, in Liebe, für
die Liebe und aus Liebe" ist (Abhandlung, Vorwort).
EIN SALESIANISCHER GEDANKE
ZUR FASTENZEIT
Papst Johannes Paul II. schrieb aus Anlass des
400-jährigen Jubiläums der Bischofsweihe des hl. Franz von Sales (Vatikan, 23.
November 2003) neben anderen Gedanken über die Anweisungen des Heiligen an
seine Nachfolger, "treu in der Betrachtung des Lebens und Sterbens Christi
zu sein: diese sind das Tor zum Himmel". Durch die häufige Betrachtung des
Lebens und Sterbens Jesu, seines Leidens und seines Kreuzes, lernen wir zunehmend
"die Schätze kennen, die darin enthalten sind" und werden mehr und
mehr "dem Sohn Gottes ähnlich" und "vom Hl. Geist
geleitet". Unsere "Vollkommenheit besteht" in unserer
Gleichförmigkeit mit Jesus, gepaart mit der Führung durch den Hl. Geist.
Johannes Paul II. beendet diesen Abschnitt
seines Briefes mit einem Zitat aus der Predigt des Heiligen zum Karfreitag
1622. Diese Worte mögen einen Schwerpunkt unserer Betrachtungen während dieser
Tage der Fastenzeit bilden:
"Vollkommene Hingabe in die Hände des
himmlischen Vaters und ein vollkommener Gleichmut gegenüber allen Beschlüssen
des göttlichen Willens sind die Quintessenz des geistlichen Lebens. Alle
Rückschläge in unserer Vervollkommnung kommen nur aus einem Mangel an Hingabe,
und es ist sicher wahr, dass es richtig ist, das geistliche Leben gerade hier
zu beginnen, fortzusetzen und zu beenden, nämlich in der Nachahmung unseres
Erlösers, der dies in außerordentlicher Vollkommenheit am Beginn, im Laufe und
am Ende seines Lebens tat" (OEA X, S. 389; Fiorelli, Predigten des hl.
Franz von Sales für die Fastenzeit, S. 205).
MEINE WEITEREN PLÄNE
Im Mai werde ich die Visitation der
Toledo-Detroit Provinz abhalten. Im Juni werde ich an den Versammlungen der
amerikanischen Provinzen teilnehmen. Der Generalrat wird sich von 29. Juli
(Ankunft) bis 4. August (Abfahrt) in Overbach treffen. Von September bis Anfang
Dezember werde ich die kanonische Visitation der Wilmington-Philadelphia
Provinz abhalten. Der Generalrat wird von 11. Januar (Ankunft) bis 15. Januar
(Abfahrt) in Cape May, New Jersey sein. Im Februar 2004 werde ich die
kanonische Visitation der südamerikanischen Region durchführen und dort die
Exerzitien halten. Bitte, helft mir im Gebet um den Erfolg aller dieser
Visitationen und Treffen.
Möge Gott unserer Welt Frieden geben!
In
brüderlicher Verbundenheit
durch
unseren heiligen Patron
und
unsere heiligmäßigen Gründer,
Lewis
S. Fiorelli, OSFS
Generaloberer