Es lebe Jesus!

 

 20. Rundbrief des Generaloberen                                          März - April

 Lewis S. Fiorelli, OSFS                                                                      2003

 


                                                        OPTIMISMUS: HEUTZUTAGE NAIV?

 

  Während ich dabei bin, die neueste Ausgabe des Rundbriefes zu schreiben, ist hier in Washington DC ein verschneiter und grauer Februartag. Die Terror-Alarmstufe in den U.S.A. steht auf "Orange", der zweithöchsten Marke. Daher sind natürlich viele Menschen nervös wegen möglicher biologischer, chemischer oder atomarer Angriffe durch Terroristen. Mit jedem Tag erscheint ein Krieg gegen den Irak wahrscheinlicher, trotz der Friedenshoffnungen vieler Menschen und der Bemühungen von Einzelnen und ganzen Nationen, diese Möglichkeit abzuwenden. Tragischerweise ist das Raumschiff Columbia nur einige Minuten vor seiner Landung in Florida explodiert. Die Weltwirtschaft ist schleppend, und es gibt nur wenige Anzeichen, dass sich ihre Zukunft bald erhellen wird. Wie ein Artikel in einer Tageszeitung die Gegenwart umschrieben hat, ist sie "eine Zeit von Terroranschlägen, eines drohenden Krieges, mit Massen von Hungernden, plötzlichen Katastrophen und anderen drückenden Sorgen." Die gegenwärtige globale Situation erscheint als perfekte Parallele zu den persönlichen, finanziellen und sozialen Katastrophen des unglückseligen Hiob.

  Wenn es für uns und unsere Welt jemals eine Zeit für den salesianischen Optimismus gegeben hat, dann ist dieser jetzt an der Zeit! Salesianischer Optimismus darf nicht mit Naivität verwechselt werden. Wir sind uns der traurigen Folgen von individueller und sozialer Sünde sehr bewusst, ebenso wie der schädlichen Auswirkungen ungerechter politischer und wirtschaftlicher Strukturen in vielen Gesellschaften. Wir stecken weder unseren Kopf in den Sand noch verschließen wir die Augen vor Krieg und Terror. Weil wir den bekannten Optimismus unseres Patrons teilen, weigern wir uns, dass Fehler oder Sünde, Terror oder Unheil zur Musik werden, nach der wir tanzen. Wir glauben vielmehr, dass die Gnade Gottes am Kreuz Christi Sünde und Tod jeglicher Art überwunden hat. Sogar angesichts der gegenwärtigen Offensichtlichkeit des Gegenteils bleibt unser Vertrauen in Gott unerschütterlich: letztlich wird Gottes Liebe und Güte in allen Angelegenheiten des Menschen triumphieren. Unser frohes Vertrauen und unser standhafter Optimismus sind nicht in uns selbst begründet sondern in unserem guten und vorsehenden Gott, der jeden von uns mit Vor- und Nachnamen kennt und jeden als sein besonderes Eigentum schätzt (Abhandlung XII, 12). Wir sind ein Teil der Schöpfung Gottes, einer Schöpfung, die er mit sorgender und zarter Liebe behütet und erhält. Das tröstende Wissen, dass wir innig mit diesem Gott als unserem Ursprung und Ziel verbunden sind, bildet die Wurzeln des salesianischen Optimismus.

 

  IM BLICK: NEUSTRUKTURIERUNG

  Alle sechs Monate trifft sich der Generalrat. Ein wichtiger Tagesordnungspunkt bei all diesen Treffen ist eine Begutachtung der "Lage der Kongregation". Diese Einschätzung wird dadurch erreicht, dass die Hauptfragen betrachtet werden, die in jeder Provinz oder Region anstehen. Wir haben eine solche Einschätzung bei unserem Treffen im Januar 2003 in Monaco versucht. In deren Verlauf kamen wir zu dem Schluss, dass ein Hauptthema für das Generalkapitel 2006 ein ernsthaftes Nachdenken über die Frage einer möglichen Neustrukturierung der Kongregation sein sollte.

  Schon vor längerer Zeit, im Rundbrief Nr. 3 aus dem Jahr 1995, habe ich darum gebeten, die Möglichkeit einer Neustrukturierung der Kongregation zu überdenken, "um den Herausforderungen besser begegnen zu können, die sich vielen von uns durch eine Abnahme unserer Mitgliederzahl, zunehmendes Alter und wachsende apostolische Nöte stellen". Zur Zeit, als dieser Brief geschrieben worden war, habe ich informelle Gespräche und gemeinsame Unternehmungen unter "Oblaten mit gemeinsamer Sprache, Kultur oder Geschichte oder solchen mit gemeinsamen Grenzen" vorgeschlagen. Das Generalkapitel des Jahres 2000 hat eine Einladung an die Höheren Oberen und ihre Räte gerichtet, in einen Prozess einzusteigen, dessen Ziel die "mögliche Neu-Anordnung von Provinzen oder Regionen ist, die entweder eine historische, kulturelle oder geografische Nähe zueinander haben." Glücklicherweise sind viele solcher gemeinsamen Bemühungen in den letzten acht Jahren bereits unternommen worden, und viele dauern bis heute mit weithin zufrieden stellenden Ergebnissen an. Es mag dienlich sein, von einigen Beispielen solcher gemeinsamer Schritte zu berichten: ein gemeinsames Noviziat der beiden amerikanischen Provinzen, ebenso wie der Österreichisch-Süddeutschen und der Deutschen Provinz; die Teilnahme zweier italienischer Novizen am Noviziat der Südamerikanischen Region; ein internationales Scholastikat in Pretoria mit Scholastikern aus Südafrika, Namibia und Bénin; eine Diskussion über ein gemeinsames Noviziat der Regionen Keimoes-Upington und Keetmanshoop; regelmäßige Treffen der Provinzialräte und gemeinsame Exerzitien unter einer Reihe von Provinzen; und zwei Treffen von europäischen Oblaten.

  Dennoch haben die Gründe, die 1995 gegeben waren, um informelle Bemühungen zur Neustrukturierung anzuregen, heute noch größere Dringlichkeit. Es ist deshalb die einhellige Meinung der Generalräte, dass jetzt die Zeit gekommen ist, um sich mit dieser Neustrukturierung in einer mehr formellen Weise und auf der Ebene der gesamten Kongregation zu befassen. Die Mitglieder des Generalrates werden an dieser wichtigen Frage im Laufe der nächsten dreieinhalb Jahre arbeiten, die wir bis zum 18. Generalkapitel noch zur Verfügung haben, um eine fruchtbare Diskussion und mögliche Beschlüsse zu diesem Thema durch die Mitglieder dieses Kapitels vorzubereiten.

  Im Juli 2003 werden wir zum Beispiel in der Generalleitung unsere eigenen Reflexionen zu dieser Frage fortsetzen, wobei wir auch die Möglichkeit erkunden, jemanden einzuladen, der mit einer Neustrukturierung in anderen Kongregationen vertraut ist und mit uns im Januar 2004 und mit den Höheren Oberen im Juli 2004 zusammentrifft. Wenn es nach den Erfahrungen dieser Treffen angemessen erscheint, werden wir diesen (oder einen anderen) Experten einladen, an der Vorbereitungskommission im Juli 2005 und am Generalkapitel 2006 teilzunehmen. Es ist möglich, dass wir im Verlauf dieser Treffen konkrete Vorschläge über eine Neustrukturierung zustande bringen, mit denen sich das Kapitel befasst und über die es dann auch abstimmt. Vorschläge zu diesem Thema können natürlich auch von individuellen Oblaten und Gruppen von Oblaten kommen. Konkrete Vorschläge, über die beim 18. Generalkapitel abgestimmt werden könnte, sind etwa die folgenden: Die Kapitulare könnten zunächst entscheiden, ob sie (1) die Notwendigkeit der Neustrukturierung sehen und, wenn so, dann (2) festlegen, welches besondere Muster dieser Neustrukturierung für unsere Kongregation am besten geeignet erscheint. Schließlich könnten sie (3) entscheiden, wie dieses Muster in den Jahren nach dem Generalkapitel umgesetzt werden soll.

  Wenn jemand von euch beim Lesen dieses Briefes irgendwelche Anregungen oder Einsichten zu diesem Thema hat, die er gerne dem Generalrat zur Überlegung geben möchte, dann soll er bitte nicht zögern, jemanden von uns zu kontaktieren. Wenn jemand eine Person kennt, die mit Neustrukturierung dieser Art vertraut ist und vielleicht bereit wäre, mit uns zusammenzuarbeiten, dann würde ich mich über eine Mitteilung darüber sehr freuen. Je mehr Input wir in den nächsten Jahren zu diesem Thema erhalten können, desto besser, weil die Neustrukturierung uns alle betreffen wird. In diesem Fall sind, wie in vielen anderen, mehr Köpfe besser als einer!

 

  NEUER VORSITZENDER DER ICSS

  P. Alexander Pocetto hat gebeten, dass er als Mitglied und Vorsitzender des Internationalen Komitees für salesianische Spiritualität zurücktreten möchte, wenn seine gegenwärtige Amtszeit am 1. August 2003 endet. Die Kongregation schuldet P. Pocetto ein großes Maß an Dankbarkeit. Mit unerschütterlichem Charme und ansteckender Freude hat er die Arbeit der Kommission viele Jahre geleitet. Kompetenz und Sorgfalt haben seine Amtszeit gekennzeichnet. In seinem Enthusiasmus für die Segnungen des elektronischen Zeitalters hat er viel dafür geleistet, die Arbeit der ICSS ins Internet zu bringen. Danke, P. Pocetto, für deine hervorragende Arbeit!

  Ich freue mich mitteilen zu dürfen, dass P. Joseph F. Chorpenning aus der Wilmington-Philadelphia Provinz die Ernennung zum Mitglied und Vorsitzenden der Kommission durch den Generalrat angenommen hat. P. Chorpenning, ein anerkannter salesianischer und theresianischer Wissenschaftler, hat an vielen Projekten gearbeitet, die christliche Kunst und Spiritualität vereinen. In den letzten Jahren hat sein wissenschaftliches Interesse der Forschung und den Schriften über die Spiritualität der Hl. Familie nach den Arbeiten von Papst Johannes Paul II. gegolten, sowie der Berufung und Sendung des hl. Josef. Erst kürzlich hat er eine Arbeit herausgegeben, in der die verschiedenen Spiritualitäten beleuchtet werden, die auf den Glasfenstern aller Kirchen, Kapellen und Oratorien der Erzdiözese von Philadelphia in den U.S.A. dargestellt sind. Diese großartige Arbeit wird zu Recht als wesentlicher Beitrag zum geistlichen Erbe der Erzdiözese betrachtet. In P. Chorpenning hat das Anliegen der Kongregation, die salesianische Lehre und Spiritualität in der heutigen Welt zu verbreiten, einen fähigen und kompetenten Wegweiser gefunden. In eurem Namen danke ich ihm dafür, dass er diese Aufgabe angenommen hat und wünsche ihm viel Erfolg dabei.

 

  KOMITEES für die MISSIONEN

  Im 19. Rundbrief habe ich von der Errichtung von zwei Ad-hoc-Komitees für die Missionen der Oblaten gesprochen. Das "Komitee für die Missionen der Oblaten im 21. Jahrhundert" wird einen umfassenden Plan für den missionarischen Geist der Kongregation (ihren Chablais-Geist) und ihre missionarischen Aktivitäten im neuen Jahrhundert formulieren. Dieser Plan, möglicherweise mit konkreten Vorschlägen versehen, wird dem Generalkapitel 2006 vorgelegt werden. In diesem Rundbrief möchte ich die Mitglieder dieses Komitees bekannt machen: PP. Josef Költringer (Vorsitzender), James Cryan, Aldino Kiesel und Jan Mostert.

  Das zweite Komitee, das "Komitee für den Chablais Fonds" hat als Hauptaufgabe den Aufbau und die Verwaltung der Chablais Stiftung für die Missionen der Oblaten, und ich möchte an dieser Stelle auch dessen Mitglieder vorstellen: PP. Joseph Morrissey (Vorsitzender), Franz Aregger, Konrad Esser, Josef Költringer and als Berater der Generalökonom P. Rainer Vorsmann.

  Beide Komitees wurden im Anschluss an das Treffen der Höheren Oberen mit dem Generalmissionskoordinator und den Missionsprokuratoren der Kongregation im Juli 2002 errichtet. Die missionarische Tätigkeit der Kongregation stellt eine wesentliche Teilhabe an der grundlegenden Sendung der Kirche zur Evangelisierung dar. Gemäß unserem Charisma als Oblaten ist sie auch ein wesentlicher Teil unserer fortwährenden Bemühungen, die salesianische Spiritualität zu denen zu bringen, die bereits an Christus glauben. Durch die Formung in der Spiritualität unseres Patrons werden sie noch mehr befähigt, ihre liebende Einheit mit Gott zu vertiefen und, indem sie Jesus leben, ihre Herzen, ihren Willen und ihr Leben noch inniger mit dem heiligen Willen Gottes in jedem gegenwärtigen Augenblick ihres Lebens zu vereinen. In diesem Licht betrachtet ist die Arbeit dieser Komitees grundlegend und wichtig sowie außerdem zentral für die Sendung der Kongregation. Begleitet mich bitte im Gebet um den Erfolg für ihre Bemühungen.

 

  VORBEREITUNG DES

  18. GENERALKAPITELS 2006

  Obwohl es noch drei Jahre vor uns liegt, ist es nicht zu früh, mit den Planungen für das nächste Generalkapitel zu beginnen. Aus diesem Grund möchte ich bekannt geben, dass ich nach Beratung mit den Mitgliedern des Generalrates und mit Zustimmung ihres Provinzials P. Sebastian Leitner zum Vorsitzenden der Vorbereitungskommission für das 18. Generalkapitel und Diakon Thomas Mühlberger zu seinem Assistenten ernannt habe. Bei diesen beiden Mitbrüdern werden die vielen Aufgaben vor dem Kapitel wie auch die täglich dafür anfallenden Erledigungen in sehr kompetenten Händen sein. In eurem Namen danke ich beiden dafür, dass sei diesen anspruchsvollen und sehr wichtigen Dienst für die Kongregation übernommen haben.

 

  TOD VON BISCHOF

  ANTONIO CHIMINELLO

  Der Tod eines jeden Mitbruders ist ein trauriges Ereignis. Wenn dieser Tod zu früh kommt, ist der Verlust umso schmerzlicher. Und wenn der, um den wir trauern, der junge Bischof eines unserer ältesten Missionsgebiete ist, der von den Oblaten und Oblatinnen in beiden Kongregationen ebenso wie von den Menschen, denen er so lange und so gut gedient hat, geschätzt und geliebt wurde, dann ist der Verlust besonders bitter. Genau das war beim Tod von Bischof Antonio Chiminello am 23. November 2002 der Fall. P. Mark Mealey und ich konnten an seinem Begräbnis in Keetmanshoop teilnehmen. In eurem Namen haben wir die Mittrauer und das Gebet der Kongregation gegenüber der Familie des Bischofs, den Mitbrüdern der Region von Keetmanshoop und den Menschen der Diözese zum plötzlichen Abschied von ihrem geliebten Hirten zum Ausdruck gebracht.

  FREUNDE DER GUTEN MUTTER

  Wie ihr wisst, ist das Dörfchen von Soyhières in der Schweiz der Geburtsort der Guten Mutter. Aus Anlass des 900-jährigen Gründungsjubiläums wird eine Schrift erscheinen, in der das Leben der drei heiligmäßigen Menschen, die aus diesem Ort stammen, gewürdigt wird. Diese drei heiligmäßigen Menschen sind die Gute Mutter, die hl. Léonie Aviat und P. Blanchard (+ 1824). Wir kennen die Namen der beiden Frauen gut, sind vielleicht aber mit dem von P. Blanchard nicht vertraut. Er war ein Diözesanpriester, der 1824 "im Ruf der Heiligkeit" in der Pfarre von Soyhières verstorben ist und in der Krypta der dortigen Kirche begraben liegt.

  Zum selben Anlass ist "L' Association des Amis du Père Blanchard et de la Mère Chappuis" gebildet worden. Diese Organisation setzt sich aus diözesanen Amtsträgern, Ordensleuten und Laien zusammen. Angeregt durch diese drei heiligmäßigen Menschen wollen sie deren Leben genauer kennenlernen und deren Geist noch mehr verbreiten. Oblaten beider Kongregationen sind eingeladen worden, jeweils einen Vertreter für den Vorstand dieser neuen Vereinigung zu ernennen. Ich freue mich mitteilen zu dürfen, dass unser Schweizer Mitbruder P. Franz Aregger unsere Kongregation vertreten wird.

  Meine weitreichende Hoffnung ist, dass uns diese Gruppe eines Tages, wenn die Zeit dafür gekommen sein wird, in der Förderung des Seligsprechungsprozesses der Guten Mutter unterstützen wird.

 

  CHRISTLICHER HUMANISMUS

  In letzter Zeit hatte ich zwei Mal Gelegenheit, über christlichen Humanismus und das salesianische Verständnis der Beziehung zwischen Gott, der Schöpfung und der Menschheitsfamilie zu sprechen. In diesem Rundbrief möchte ich einige von meinen Gedanken zu diesem wichtigen Thema salesianischer Spiritualität mit euch teilen.

  Im Ausdruck "Christlicher Humanismus" bezieht sich Humanismus auf die Hochschätzung der Renaissance für menschliche Leistungen in Literatur, Kunst und Wissenschaft. Vor Allem in den Wissenschaften kam es dabei auch zur Unterscheidung zwischen Glauben und Vernunft und zu deren Einschätzung als parallele, getrennte und für manche sogar unvereinbare Zugänge zur Wirklichkeit. Solch eine Trennung gefährdet die innige Beziehung zwischen Schöpfer und Schöpfung im jüdisch-christlichen Sinn und somit das unzertrennliche Band zwischen der Wahrheit des Glaubens und menschlichem Verhalten oder menschlicher Leistung.

  "Christlicher" Humanismus schätzt zwar menschliche Errungenschaft jeder Art auch ganz hoch, sieht sie aber in der grundlegendsten Wahrheit über die Menschheitsfamilie verwurzelt: dass wir nach Gottes Ebenbild geschaffen sind und daher innig auf Ihn als unseren Ursprung und unser Ziel bezogen sind. Nach dem Beispiel aus dem Buch Genesis beginnt der christliche Humanismus mit der Anerkennung der individuellen Person, die als Schöpfung nach dem Bild und Gleichnis Gottes mit tiefster Würde erfüllt ist und deshalb mit aufrichtiger Achtung, unerschöpflicher Freundlichkeit und beständiger Ehrerbietung behandelt werden muss. Außerdem ist der Menschheitsfamilie eine neue göttliche Tiefe eigen, weil sie durch die Inkarnation und Erlösung unwiderruflich mit Gott verbunden ist. Das bedeutet, dass wir unsere Menschlichkeit auf unserer Suche nach Heiligkeit niemals über Bord werfen müssen. In dieser Tradition ist der Heilige vielmehr die vollendete menschliche Person.

  Deshalb betont der christliche Humanismus, dass wir aus Gnade nicht nur Freunde Gottes sind sondern auch seine Partner, indem wir den schöpferischen Geist durch die Geschichte hindurch fördern. In diesem Licht ist jede menschliche Errungenschaft, wenn sie auch noch so klein ist, zugleich eine Würdigung unserer Beziehung mit Gott und auf eine sehr wirkliche Weise eine Förderung des göttlichen Planes für die Menschheitsfamilie und die gesamte Schöpfung.

 

  Gläubiger und Denker

  Franz von Sales trug seinen Zeitgenossen auf: "Sei, was du bist und sei es gut!" (Brief an Frau Brûlart, 10. Juni 1605, OEA 13, S. 53 f.) Weil Christen sowohl Gläubige als auch Denker sind, sollen sie in allen Dingen nach der tieferen Wahrheit suchen. Die christliche Aussage, dass Gott Schöpfer ist, erlaubt uns zum Beispiel zu behaupten, dass die Wahrheiten des Glaubens grundsätzlich immer in Einklang mit den Wahrheiten der verschiedenen Wissenschaften stehen. Sie stammen von der einen Quelle und sind auf das eine gemeinsames Ziel ausgerichtet. Obwohl das nicht immer unmittelbar klar ist, können wir davon überzeugt sein, und diese Wahrheit kann unsere Suche nach Wissen leiten und uns darauf hinweisen, wo dieses Wissen im Dienst an der Schöpfung einzusetzen ist. Viele Humanisten in der Schule der klassischen Renaissance waren überzeugt, dass sie sich entweder dem Glauben mit seinen Ansprüchen an Verhalten und Praxis hingeben müssen oder der unbeschränkten Suche nach wissenschaftlicher Wahrheit, wohin immer diese führen mag. Der christliche Humanist weiß sich auf der anderen Seite der Wahrheit beider verpflichtet, und er macht in seinen Gedanken wie auch in seinem Leben ihr wesentliches Aufeinander-Bezogensein sichtbar. Die Wissenschaft stärkt den Glauben, und der Glaube leitet die Suche nach Wissen, wobei beide im Dienst der Mitmenschen und der Schöpfung selbst stehen.

  Die Weltsicht des christlichen Humanisten ist wie ein nahtloses Gewand. Der Glaube geht Hand in Hand mit der Vernunft, die Theorie gibt der Praxis Form und Richtung, die Überzeugung krempelt ihre Ärmel zur Verbesserung der Welt auf. Als kritische Denker und treue Gläubige setzen christliche Humanisten ihre von Gott gegebenen Gaben im Dienst an den Mitmenschen ein und fördern den schöpferischen Fortschritt in den Wissenschaften und Künsten gemäß dem göttlichen Plan. Sie sind verantwortungsvolle Bürger, die sich aktiv in ihren örtlichen, nationalen und internationalen Gemeinschaften engagieren. Als voll integrierte menschliche Wesen, die das göttliche Bild in sich selbst und in jeder anderen Person schätzen, arbeiten sie unermüdlich daran, dieses Bild in Allen zu vergrößern und zu verteidigen. Sie tun das, indem sie in Gerechtigkeit und Frieden zu allen Völkern gehen, besonders aber zu denen, die sich am Rand der Gesellschaft und ohne Anwaltschaft finden.

 

  Christ und Humanismus

  Definitionsgemäß ist christlicher Humanismus zutiefst auf die Person und Sendung Jesu bezogen. Nach der Sicht des hl. Franz von Sales ist Jesus "Gottes Kuss an die Schöpfung", ihr Höhepunkt und ihre Vollendung. Daher findet die Schöpfung im Menschsein Jesu ihre vollkommenste Antwort an ihren Schöpfer, ihren schönsten Ausdruck von Gebet und Lobpreis und ihre vollständigste Einheit mit Gott im Willen und im Leben. Aus diesem Grund ist die Weise, wie Jesus diese kurze Leben unter uns lebte, das Beispiel und Modell dafür, wie wir unser Leben in liebender Einheit mit Gott und dem Nächsten leben sollen.

  Jesus pflegte seine tiefe Verbundenheit mit Gott. Er vertiefte diese Verbundenheit, indem er ganze Nächte im Gebet zu seinem Vater verbrachte. Und er machte sich aus diesem Gebet heraus - als Antwort auf den Willen Gottes - auf, den Menschen mit Mitgefühl und Liebe zu dienen. Auf diese Weise kam Gottes Frohe Botschaft in Jesus zu uns, der die Hungrigen speiste, die Ausgestoßenen und am Rand Stehenden zu seinen Freunden machte und verteidigte, den Armen predigte und für die Sünder starb. Ungeachtet seiner Gottheit kam er zu uns in der Güte und Niedrigkeit des Guten Hirten. Er suchte nach dem verlorenen Schaf und versorgte es, nachdem er es gefunden hatte, zärtlich, trug es mit lächelnder Freude auf seinen Schultern und brachte es zur Herde zurück. Nach der Lehre Jesu ist jeder von uns dieses verlorene Schaf. Jeder von uns wurde gesucht, gefunden und vom Herrn liebevoll zur Heilsgemeinschaft der Kirche zurückgebracht. Ebenso sollen wir einander behandeln - gleich, wie weit wir uns verirrt haben oder wie oft wir verloren gegangen sind.

  Christliche Humanisten werden auch nicht das Beispiel der verborgenen Jahre des Lebens Jesu übersehen. Dreißig Jahre lang lebte und arbeitete Jesus im Rahmen einer liebevollen Familie und unter Freunden und Nachbarn. Diese verborgenen Jahre eines schlichten Familienlebens sagen uns, dass ein Hauptaspekt unserer täglichen Tugendpraxis - besonders jener Haltungen, die Franz von Sales die "kleinen Tugenden" nennt, wie Nächstenliebe, Geduld, Sanftmut, Ausgeglichenheit, Demut, Zartheit und Freundlichkeit - immer jene Menschen sein müssen, mit denen wir das Leben teilen und mit denen wir arbeiten oder spielen. Wir wissen, dass christliche Nächstenliebe niemals dort aufhört, aber immer im eigenen Haus beginnt!

  Kurz gesagt, sind für den christlichen Humanisten die Wahrheiten des Glaubens, die Tugendpraxis und die moralischen Regeln niemals vom täglichen Leben in dieser Welt zu trennen noch von unseren kreativen Bemühungen, die Schöpfung zu bewahren, menschliche Errungenschaften voranzutreiben und anderen in Frieden und Gerechtigkeit zu dienen. Alle Aspekte unsere Bezogenheit auf Gott, die Schöpfung und andere Menschen bilden ein nahtloses Gewand, dessen Gewebe die Liebe ist, die Jesus uns vorgelebt hat und zu der uns sein Hl. Geist befähigt. Das ist der Grund, warum gemäß der salesianischen Tradition, "in der heiligen Kirche alles durch die Liebe, in Liebe, für die Liebe und aus Liebe" ist (Abhandlung, Vorwort).

 

  EIN SALESIANISCHER GEDANKE

  ZUR FASTENZEIT

  Papst Johannes Paul II. schrieb aus Anlass des 400-jährigen Jubiläums der Bischofsweihe des hl. Franz von Sales (Vatikan, 23. November 2003) neben anderen Gedanken über die Anweisungen des Heiligen an seine Nachfolger, "treu in der Betrachtung des Lebens und Sterbens Christi zu sein: diese sind das Tor zum Himmel". Durch die häufige Betrachtung des Lebens und Sterbens Jesu, seines Leidens und seines Kreuzes, lernen wir zunehmend "die Schätze kennen, die darin enthalten sind" und werden mehr und mehr "dem Sohn Gottes ähnlich" und "vom Hl. Geist geleitet". Unsere "Vollkommenheit besteht" in unserer Gleichförmigkeit mit Jesus, gepaart mit der Führung durch den Hl. Geist.

  Johannes Paul II. beendet diesen Abschnitt seines Briefes mit einem Zitat aus der Predigt des Heiligen zum Karfreitag 1622. Diese Worte mögen einen Schwerpunkt unserer Betrachtungen während dieser Tage der Fastenzeit bilden:

  "Vollkommene Hingabe in die Hände des himmlischen Vaters und ein vollkommener Gleichmut gegenüber allen Beschlüssen des göttlichen Willens sind die Quintessenz des geistlichen Lebens. Alle Rückschläge in unserer Vervollkommnung kommen nur aus einem Mangel an Hingabe, und es ist sicher wahr, dass es richtig ist, das geistliche Leben gerade hier zu beginnen, fortzusetzen und zu beenden, nämlich in der Nachahmung unseres Erlösers, der dies in außerordentlicher Vollkommenheit am Beginn, im Laufe und am Ende seines Lebens tat" (OEA X, S. 389; Fiorelli, Predigten des hl. Franz von Sales für die Fastenzeit, S. 205).

 

  MEINE WEITEREN PLÄNE

  Im Mai werde ich die Visitation der Toledo-Detroit Provinz abhalten. Im Juni werde ich an den Versammlungen der amerikanischen Provinzen teilnehmen. Der Generalrat wird sich von 29. Juli (Ankunft) bis 4. August (Abfahrt) in Overbach treffen. Von September bis Anfang Dezember werde ich die kanonische Visitation der Wilmington-Philadelphia Provinz abhalten. Der Generalrat wird von 11. Januar (Ankunft) bis 15. Januar (Abfahrt) in Cape May, New Jersey sein. Im Februar 2004 werde ich die kanonische Visitation der südamerikanischen Region durchführen und dort die Exerzitien halten. Bitte, helft mir im Gebet um den Erfolg aller dieser Visitationen und Treffen.

 

  Möge Gott unserer Welt Frieden geben!

 

                                                                       In brüderlicher Verbundenheit

                                                                       durch unseren heiligen Patron

                                                              und unsere heiligmäßigen Gründer,

 

 

                                                                                  Lewis S. Fiorelli, OSFS

                                                                                                Generaloberer

 

                                                                                                               D S B