Es lebe Jesus!
14. Rundbrief des Generaloberen November
Lewis S. Fiorelli, OSFS 1999
Salesianische
Spiritualität:
eine
vernachlässigte Dimension
Ich weiß nicht mehr, wo ich diese
Geschichte zuerst gelesen habe, aber es geht darin um einen König, der einen
Preis aussetzte für den Künstler, der die beste Darstellung vom Frieden malen
würde. Viele Künstler haben das versucht. Der König hat sich alle Bilder
angesehen, aber es blieben nur zwei übrig, die ihm wirklich gefielen, und er
musste eines von diesen auswählen.
Ein Bild stellte einen stillen See dar.
Der See bot ein perfektes Spiegelbild für alle Berge, die ringsum lagen.
Darüber war ein blauer Himmel mit einigen weißen Wolken zu sehen. Alle, die
dieses Bild sahen, waren der Meinung, dass es eine gelungene Darstellung vom
Frieden sei.
Auf dem anderen Bild waren ebenso Berge
zu sehen, aber diese waren kahl und zerklüftet. Darüber war ein bedrohlicher Himmel
zu sehen, von dem Regen herunterfiel und der von Blitzen erleuchtet war. Von
der unteren Seite des Berges stürzte ein schäumender Wasserfall. Das Ganze sah
wirklich nicht friedvoll aus, aber als der König es betrachtete, sah er hinter
dem Wasserfall einen kleinen Busch, der aus einer Felsspalte emporwuchs. In
diesem Busch hatte ein Vogel sein Nest gebaut, und dort, inmitten des heftig
niederstürzenden Wassers, saß dieser Vogel und beschützte sein Nest.
Welches Bild hat nun den Preis
gewonnen?. Der König wählte das zweite, und wißt ihr, warum? "Weil",
so erklärte er, "Frieden nicht bedeutet, auf einem Platz zu sein, wo es
keinen Lärm, keine Schwierigkeit oder keine harte Arbeit gibt. Frieden
bedeutet, inmitten all dieser Umstände zu sein und dennoch im Herzen ruhig zu
bleiben. Das ist die wirkliche Bedeutung von Frieden."
Der frohe Optimismus der salesianischen
Spiritualität spricht unmittelbar die Herzen derer an, die glauben, dass allein
die Liebe den Sinn des Universums ausmacht. Er betont die vorausblickende Güte
Gottes, die so ergreifend vom Herzen Christi, das demütig und sanft ist,
symbolisiert wird. Dieser Schwerpunkt trägt das Potential in sich, den Geist
jeder Person auf ihrer Reise durch das Leben zu erheben. Er ist außerdem
wahrscheinlich am besten geeignet für die Jugend, die voll heller Erwartung an
das Leben ist, oder für jene, denen die erfrischende Schönheit des geistlichen
Lebens ganz neu bewusst wird.
Allerdings ist das Leben allzu oft
weder schön noch hell, sondern häufig schmerzlich und hart, manchmal sogar
furchterregend und schrecklich. Um sich das bewusst zu machen, genügt es, sich
die Schlagzeilen der letzten paar Monate in Erinnerung zu rufen. Zehntausende
von ethnischen Albanern haben in einem Krieg, der eben erst zu Ende gegangen
ist, unaussprechliche Qualen durchgemacht. Erdbeben und Überschwemmungen haben
vor kurzem Teile unserer Erde heimgesucht, und Tausende Menschen sind dabei auf
schreckliche Weise umgekommen, während viele andere nun neben ihrem Kummer und
Unglück obdachlos sind. Herzen, die in dieser Weise leiden, können nicht
einfach von Worten berührt werden, die von Freude, Optimismus, Freundlichkeit,
Einfachheit und Demut sprechen.
Deshalb müssen wir die harten Fragen
unserer Spiritualität stellen und nach dem geistlichen Frieden suchen, den sie
inmitten von Leid, Schmerz, innerer Verwirrung und selbst vom Tod bieten kann.
Kann zum Beispiel eine Spiritualität der kleinen Tugenden jene trösten, die
Zeugen dessen werden mussten, dass ihre Lieben in grausamer Weise ermordet oder
brutal an Leib und Seele verstümmelt worden sind? Kann eine Spiritualität,
deren Schwerpunkt auf Optimismus und Freude liegt, jenen Trost bringen, deren
Familienangehörige auf so schreckliche Weise in Erdbeben oder Überschwemmungen
umgekommen sind? Kann sie jene erreichen, die jeder menschlichen Würde beraubt
worden sind und sich nun im Exil befinden, ohne Unterkunft, Nahrung oder
Kleidung? Schließlich, kann sie irgendeinen Sinn oder eine Hoffnung für jene
bedeuten, die hilflos erleben müssen, wie ihre Kinder mit starrem Blick
mitanzusehen haben, was ein Kind nie zu sehen bekommen sollte?
Um Hoffnung und Sinn angesichts des
Leides zu finden, müssen wir auf eine tiefere, weniger bekannte Dimension
unserer Spiritualität sehen, deren Hauptfigur die hl. Johanna Franziska von
Chantal ist. Vielleicht die beste durchgängige Behandlung dieser Dimension
können wir im Buch IX der Abhandlung von der Gottesliebe finden.
Ich möchte diese Gedanken mit dem
Evangelium des Osterdienstages zu entwickeln beginnen. Diese Stelle aus dem
Johannesevangelium schildert die Erscheinung des Auferstandenen Christus vor
Maria Magdalena am Ostermorgen (Joh 20,11-18). Der Prediger bei unserer
Gemeinschaftsmesse an diesem besonderen Tag des heurigen Jahres wies uns darauf
hin, dass eine Reihe von Bibelwissenschaftlern der Gegenwart herausgefunden
haben, dass der Evangelist den damals geläufigen Bericht von den Erscheinungen
Jesu vor Maria Magdalena mit einem Blick auf die geistlichen Nöte seiner
Ortskirche erzählt. Er tut das, indem er mit seiner Erzählung das Bild von der
jungen Frau im Hohenlied der Liebe in Erinnerung ruft, die in schmerzlicher
Weise nach ihrem Geliebten sucht.
Die Heldin dieses Buches sucht
bekanntlich überall verzweifelt nach ihrem Geliebten, der verschwunden ist. Sie
stellt jedem, den sie trifft, dieselbe Frage: "Habt ihr ihn gesehen, den
meine Seele liebt?" (3,4) Maria, die auch weint, wird vom Engel nach dem
Grund für ihre Tränen gefragt. Sie antwortet, dass sie den nicht finden kann,
nach dem sie sucht. "Man hat meinen Herrn weg genommen, und ich weiß
nicht, wohin man ihn gelegt hat" (20,13). Die junge Frau im Hohenlied
findet ihren Geliebten dann plötzlich (3,4), und ebenso Maria: "Als sie
das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen" (20,14).
Sobald sie ihren Geliebten findet, hält ihn die junge Frau fest und ist
entschlossen, ihn niemals mehr los zu lassen, wobei sie das berühmt gewordene
Wort "tenui, nec dimittam" ausspricht (3,4). Als Maria schließlich
Jesus an der vertrauten Weise erkennt, in der er ihren Namen ausspricht, möchte
sie ihn ebenso festhalten, mit der selben Entschlossenheit, ihn nie mehr los zu
lassen (20,17).
Das
Hohelied der Liebe ist zuallererst eine Liebesgeschichte. Indem er diese
verwendet, um die Erscheinung des auferstandenen Jesus vor Maria Magdalena zu
beschreiben, sagt der Autor des vierten Evangeliums seiner Gemeinde, dass
allein die Liebe fähig ist, am Glauben, an der Wahrheit und am neuen Leben fest
zu halten, das in Jesus geoffenbart ist. Er, der gelitten hat und gestorben
ist, hat das aus Liebe zu anderen auf sich genommen. Sein leidvoller Tod
brachte die Erlösung von der Sünde, das neue Leben in der Gnade und die
Verheißung der Auferstehung. Rationalität und Logik können das nicht erklären.
Nur ein liebendes Herz kann diese Wahrheit erfassen und deshalb seine Kraft
erfahren. Wahre Erkenntnis wird deshalb nicht in der abstrakten Philosophie der
Griechen gefunden, sondern in der fleischgewordenen Liebe eines Gottes, der für
jene leidet, die er liebt und sie dadurch von Sünde und Tod erlöst. Diese haben
umgekehrt Zugang zu seiner Erlösung, wenn sie andere so lieben wie er selbst,
das heißt, wenn sie für jene leiden, die sie lieben. Leidende Liebe bleibt
somit die erlösende Tat Christi durch die gesamte menschliche Geschichte.
Unser Patron erwähnt in seiner Abhandlung
häufig das Hohelied in seiner meisterhaften Darstellung der Liebe Gottes.
Darüber haben wir in der Ausgabe VII dieses Rundbriefes gesprochen. Der
Zusammenhang zwischen der Verwendung des Hohenliedes durch den Evangelisten
Johannes in seiner Erzählung von der Erscheinung des Auferstandenen und der
häufige Gebrauch dieser Geschichte durch unseren Patron haben mich angeregt,
darüber nachzudenken, was Maria Magdalena wohl über Liebe und erlösendes Leiden
in unserer geistlichen Tradition zu sagen hätte.
In unserer Betonung des frohen
Optimismus bei Franz von Sales vergessen wir oft, dass seine engste Freundin,
die hl. Johanna, über vierzig Jahre lang in fast ständiger seelischer Qual
lebte, einer sehr tiefen und dauerhaften dunklen Nacht der Seele. Wie die junge
Frau im Hohenlied, die nach ihrem Geliebten suchte, und wie Maria Magdalena am
leeren Grab, die nach Jesus suchte, wendete die hl. Johanna viel von ihrer
spirituellen Energie für die Suche nach demjenigen auf, der für sie
hoffnungslos verloren schien. Ihr Gefühl des Verlustes war so tief verwurzelt,
dass Franz von Sales wusste, wenn sie nicht irgendwie lernen konnte, Jesus in
der Tiefe ihrer geistlichen Qual zu finden, dann würde sie ihn wahrscheinlich
überhaupt nicht mehr finden.
Viele salesianische Forscher nehmen an,
dass Franz von Sales sein berühmtes Buch IX der Abhandlung verfasst hat, um
Johanna von Chantal und anderen Menschen in ähnlicher Situation eine geistliche
Wegbeschreibung zu geben, mit der der Herr sogar inmitten von geistlicher
Dunkelheit, von Leid und sogar angesichts des Todes gefunden werden kann. Er
brachte ihr bei, wie man sich dem Willen des göttlichen Wohlgefallens
unterwerfen kann (Kap. 1), der sich sogar inmitten von Verwirrungen (Kap. 2)
und geistlichen Anfechtungen (Kap. 3) ausdrücken kann. Er belehrte sie mit
Hilfe der geistlichen Strategie des heiligen Gleichmuts, wie sie den Herrn
lieben kann, gleich unter welchen Umständen er sich ihr gegenüber zeigt. Daher
lernte sie, ihn in gleicher Weise zu lieben, ob er nun mit Dornen oder Rosen in
seiner Hand kam, mit dem Kreuz oder mit der Krone. In beiden Fällen - und
gleichgültig, in welchem - lernte sie, ihn gleicherweise und in allen Dingen
leidenschaftlich zu lieben. Solch eine Liebe ist rein, denn sie hat nur einen
Blickwinkel, Gott und seinen heiligen Willen (Kap. 4-9).
Die geistliche Qual der hl. Johanna von
Chantal war zeitweilig so ernst, dass sie nicht wusste und tatsächliche
bezweifelte, ob sie dem Geliebten gefallen würde - und das trotz ihrer
heroischen Bemühungen, seinem göttlichen Willen in allen Dingen treu zu sein
(Kap. 11, 12). Zu diesen Zeiten erfuhr sie in ihrem Willen, was Jesus am Kreuz
erfahren hat: den Tod (Kap. 13). Mit ihrem Willen, der nun tot war, lebte sie
"rein im Willen Gottes" und wartete "im Frieden des Geistes auf
die Auswirkungen des Wohlgefallens Gottes". Jemand, der sich "in
diesem Stand des Gleichmuts befindet, wünscht nichts" (verlangt nichts)
und verbleibt "in einem Zustand des einfachen Wartens, gleichmütig
gegenüber allem, das der göttliche Wille aufzutragen geneigt ist" (schlägt
nichts ab). Aber sobald der göttliche Wille bekannt ist, handelt diese Person
schnell und leidenschaftlich, um das anzunehmen, was immer Gott gewollt hat.
Das Abwarten verändert sich unmittelbar zur Zustimmung (Kap. 14, 15).
Franz vergleicht diesen geistlichen Tod
des "Wartens", dass sich der göttliche Wille inmitten der Dunkelheit,
der Trockenheit und geistlichen Qual offenbart, mit der Kleiderberaubung, die
Jesus während seiner Passion erfuhr. Er wurde zuerst seiner Kleider beraubt,
dann seiner Haut durch die Geißelung und schließlich seines Lebens durch den
Tod. Die geistliche Qual, die Johanna erfuhr, war ebenso ein immer
tiefergreifendes Berauben, das schließlich zum Tod ihres Willens geführt hat.
Der Tod Jesu führte bald zur
Auferstehung und zu seinem Wieder-bekleidet-werden mit neuem Leben. So erhalten
auch wir nach dem Tod des Willens das neue Leben der Liebe. Bekleidet mit
diesem neuen Leben, ergreifen wir von neuem "die dem Dienst der Liebe
zuträglichen Neigungen" (Kap. 16).
Warum war Maria Magdalena die erste
Jüngerin, die den Auferstandenen sehen durfte? War es vielleicht, weil sie so
sehr geliebt und so tief gelitten hatte? Nicht einmal Engel konnten sie trösten.
Sie waren schließlich kein Ersatz für ihren Geliebten. Aus salesianischer Sicht
war sie nur auf der höchsten Spitze ihrer Seele fähig, an ihrer Hoffnung
festzuhalten und inmitten der Hölle ihres Kummers und Leidens den Glauben zu
bewahren. Daher wurde diese Frau, die das Leid ihrer Liebe so heldenhaft
ertrug, mit der ersten Erscheinung des Auferstandenen Herrn belohnt.
Die hl. Johanna konnte nicht einmal
durch den unerschütterlichen Optimisten Franz von Sales Trost in ihrem
geistlichen Leid finden. Es wurde ihm schließlich klar, was er tun musste. Er
führte sie auf einen einsamen Gipfel, die Spitze ihres Geistes, und ließ sie
dort mit ihrem Gott allein. Auf diese Weise lehrte er sie, wie sie inmitten der
Dunkelheit Licht finden und wie sie im Todeskampf Leben entdecken konnte. Dort
fand sie jenseits allen Empfindens, Gefühls oder Trostes, nur mit Glauben und
reiner Liebe ausgerüstet, ihren Geliebten und gewann ihre Hoffnung zurück. Wie
der Vogel in der Geschichte am Anfang wurde sie schließlich fähig, inmitten
aller Stürme und inneren Turbulenzen einen friedvollen Mittelpunkt zu finden.
Mit der hl. Johanna als Vorbild und der
Heldin des Hohenliedes sowie Maria Magdalena lange vor ihr kann die
salesianische Spiritualität zu Menschen sprechen, die leiden, und ihnen Sinn,
Hoffnung und Frieden anbieten.
Im letzten Rundbrief habe ich erwähnt,
dass der Generalrat von den Oblatenmitbrüdern in der Schweiz ein Gesuch
erhalten hatte, ihren Status von dem einer Provinz in den einer
Oblatengemeinschaft umzuwandeln, die in der Schweiz lebt und wirkt und direkt
dem Generalat untersteht.
Die Feier dieser Überstellung fand am
30. Juli 1999 in Kriens (Schweiz) statt. Jeder Schweizer Mitbruder war bei
dieser besonderen Festmesse anwesend, und ebenso alle Mitbrüder des
Generalrates. Während der Liturgie unterzeichneten P. Franz Aregger und ich das
offizielle Überstellungsdekret.
In meinen Worten zu diesem Anlass gab
ich einen Kommentar zu einem Gedanken der Seligen Mutter Aviat: "Möge
deine Seele alles Glück spüren, das daraus entsteht, großzügig den Willen
Gottes zu tun." Ich möchte meine Gedanken über dieses Wort, die ich an
diesem Tag gesagt habe, mit euch teilen.
"Jedes Mitglied der salesianischen
Familie sieht auf das menschliche Leben Jesu. Jeder von uns lebt Jesus, indem
er seine großherzige Annahme des Willens Gottes in jedem Augenblick des Lebens
nachahmt. Wir wissen, dass Jesus sich dem göttlichen Willen in gleicher Weise
in den glücklichen wie auch in den traurigen und schmerzvollen Augenblicken seines
Lebens hingab. Ob im Leben oder im Tod, ob in Glück oder Trauer, ob im Erfolg
oder im Scheitern, Jesus lebte und liebte den göttlichen Willen. Die Frohe
Botschaft des Evangeliums sagt uns, dass dieses Leben uns Gottes rettende Liebe
für die Menschheit erwirkte. In seinem großherzigen und anhaltenden Gehorsam
dem göttlichen Willen gegenüber nahm Jesus unsere Sünde und unseren Tod von
uns; und er führte uns zur innigen Freundschaft mit Gott zurück, für den wir
erschaffen sind.
In dem Ausmaß, in dem wir diese Haltung
Jesu teilen, immer Gottes heiligen Willen anzunehmen, gleich in welcher Gestalt
und mit welchen Folgen, in diesem Maß leben wir Jesus heute und setzen sein
Erlösungwerk durch die Geschichte der Menschheit hin fort.
Liebe Mitbrüder, bitte, habt keinen
Zweifel daran: der Schmerz und das Leid, die mit dieser bitter-süßen Feier der
Überstellung von einer Provinz in eine Gemeinschaft einhergehen, ist nur das
jüngste Beispiel einer ganzen Lebensgeschichte von großerziger Annahme des
Willens Gottes. Ihr habt immer Jesus auf diese Weise gelebt und dadurch an
einem Ausgießen der erlösenden Liebe Gottes über die Welt teilgehabt - gerade
so, wie die Gute Mutter in einer Prophezeiung über jeden von uns sagte.
Was hat so ein Leben für Jesus
gebracht? Die Freude der Auferstehung und des Neuen Lebens! Eine ähnliches
Glück erwartet euch. Der Herr hat es versprochen!
Unter herausfordernden Umständen habt
ihr der ganzen Kongregation das Vorbild von Anmut und Würde gegeben. Wir sind
euch - und zwar jeder von uns - für immer dankbar für eure stille
Großherzigkeit und euren weit reichenden Mut. Ihr seid alle tapfere Seelen!
Ich schließe mit dem Wunsch der Seligen
Mutter Aviat: Mögen eure Seelen alles Glück spüren, das daraus entsteht, großzügig
den Willen Gottes zu tun."
Seit dem letzten Rundbrief haben
hinsichtlich Monaco einige neue Entwicklungen stattgefunden. Unserem Mitbruder
P. Cesare Penzo wurde mit Wirksamkeit vom 1. September 1999 der Rang eines
Kanonikers der Kathedrale von Monte Carlo verliehen. Als Kanoniker tritt er in
die Fußspuren des ersten dortigen Oblatenpfarrers, P. Francis J. Tucker. P.
Penzo sieht in dieser Aktion eine dankbare Würdigung des Dienstes aller
Oblaten, die während der letzten 50 Jahre in Monaco gewirkt haben, durch den
Fürsten, die Kirche und die Gläubigen des Fürstentums von Monaco. Wir entbieten
P. Penzo unsere aufrichtigen Glückwünsche!
Für die Feier des Goldenen Jubiläums
der Anwesenheit von Oblaten in St. Karl wurde nun ein Datum festgelegt: der 21.
Mai 2000. Der Fürst, Mitglieder der Fürstenfamilie und Erzbischof Sardou werden
mit den Priestern und Gläubigen diesen Anlass mit einer festlichen Feier
begehen. Ich selbst habe vor, die Kongregation bei diesem glücklichen Fest zu
vertreten.
Seit einiger Zeit ist nun klar, dass
die Interessen und Begabungen von P. John Sankarathil im Bereich der
Spiritualität, speziell der salesianischen und der Spiritualität der Oblaten
liegen. Er hat bereits einige Bücher in dieser Richtung herausgegeben. Der Generalrat
hat diesem jungen Mitbruder die Erlaubnis erteilt, ein Doktoratsstudium in
unserer Spiritualität zu beginnen, nachdem er vier Jahre als Vikar in St. Karl
gewirkt hat, währenddessen er sich die französische Sprache aneignen kann, um
sich selbst besser auf diese Studien vorzubereiten. Er wird dann das kostbare
Geschenk unserer Spiritualität zu den Mitbrüdern und den Menschen in Indien
bringen.
In der gesamten Kongregation hat es in
den letzten Monaten eine Anzahl von Ersten und Ewigen Professen sowie einige
Weihen gegeben. In naher Zukunft werden in der Toledo-Detroit Provinz und in
der französischen Provinz Diakonatsweihen stattfinden; und Priesterweihen in
der Region Keimoes und in Indien. Wir gratulieren unseren Mitbrüdern und danken
zugleich dem Herrn der Ernte!
Das ist ein guter Anlass, um ein wenig
über die Wichtigkeit von Berufungen nachzudenken. Die salesianische
Spiritualität legt einen großen Wert auf die Verantwortlichkeit des Einzelnen
vor Gott. Artikel 319 sagt zum Beispiel im Zusammenhang mit den Pflichten eines
Provinzials: "So dient er der Gemeinschaft seiner Mitbrüder, wobei jeder
individuell und persönlich verantwortlich bleibt." Das gilt besonders für
die Achtsamkeit, die wir während des ganzen Lebens auf unsere eigene Berufung
legen müssen. Es muss ebenso für unsere persönliche Herausforderung gelten,
ständig andere einzuladen, sich uns anzuschließen. Nur wenn andere zu uns
kommen, werden wir weiterhin fähig sein, die Welt mit jener Nahrung zu
beschenken, nach der sie so sehr hungert, die Erfahrung des Heiligen.
Deshalb rufe ich jeden von euch auf,
meine Mitbrüder in der ganzen Welt, in euch zu gehen und dort vor dem Angesicht
Gottes eure Haltung in diesem wichtigen Bereich des Lebens der Oblaten zu
überdenken. Berufswerbung ist die Verantwortung jedes Oblaten.
Ich bin sicher, dass die meisten von
euch von den Schwierigkeiten gehört haben, welche die Kirche und die Christen
ganz allgemein in Indien erfahren haben. Einige Missionare und deren Familien sind
getötet worden, und auch wir Oblaten sind nicht verschont geblieben.
Als P. Anthony Ceresko vor etwa einem
Monat versuchte, sein Visum erneuern zu lassen - in der Vergangenheit mehr oder
weniger eine Formsache - wurde ihm mitgeteilt, dass es nicht erneuert würde und
dass er innerhalb von fünfzehn Tagen das Land zu verlassen habe. Nach großen
Anstrengungen seitens vieler Leute wurde diese Zeit um ein paar Wochen
verlängert, aber am Schluss wurde er gezwungen, Indien zu verlassen, ohne
zurückehren zu dürfen. Während ich diesen Brief schreibe, hält sich P. Ceresko
im Generalat in Rom auf und bereitet sich darauf vor, einen Lehrauftrag auf den
Philippinen zu übernehmen, ein Schritt, der vom Generalrat bereits bei dessen
Treffen in der Schweiz im Juli genehmigt worden ist. Sein Umzug auf die
Philippinen war nicht geplant, bevor er seine gegenwärtige Verpflichtung am
Päpstlichen Seminar St. Peter in Bangalore in zwölf oder achtzehn Monaten
beendet hätte. Die Umstände haben es nun anders bestimmt.
Aber es ist noch mehr geschehen.
Zweimal innerhalb von vierzehn Tagen wurde P. Költringer, "der fremde
Pater", von Beamten besucht. Während des zweiten Besuchs wurde sein Pass
als "Routineangelegenheit" kopiert. Die Hinweise und Implikationen all
dieser Vorgänge reichten jedenfalls aus, um unsere Mitbrüder beunruhigt und
etwas entnervt zu hinterlassen.
All das passiert, während zwei andere
Oblaten, P. John Dolan und P. Fred Smuda, Vorbereitungen treffen, um Anfang
Januar 2000 zu ihrem Dienst in Indien aufzubrechen.
Wir kennen die Kirchengeschichte. Immer
wenn in der Vergangenheit die Kirche verfolgt worden ist, blühte sie auf. Das
gibt uns Hoffnung und Vertrauen, sogar inmitten dieser beunruhigenden
Ereignisse. Ich weiß, dass unsere Mitbrüder in Indien während dieser
schwierigen Zeit mit unserer Gebetsunterstützung rechnen können.
Ich habe die Visitation der Region
Südamerika im September mit einem Besuch in Bahia abgeschlossen. Es wurde mir
gesagt, dass Bahia ein sehr anderes Brasilien ist, und das ist auch so. Die
Region befindet sich sogar für einen knapp ausreichenden Vorrat an Wasser in
einem andauernden Kampf. Das Land ist beinahe eine Wüste. Die Leute sind sehr
arm, und die meisten von ihnen können kaum auf einen ausreichenden
Lebensunterhalt hoffen. Aber das Paradox des Evangliums ist hier lebendig:
"Selig die Armen; denn ihnen gehört das Himmelreich." Ein Oblate hat
es so ausgedrückt: "Bahia hat mich verändert." Er meinte mit diesen
Worten, dass er durch seinen Dienst bei diesen besonderen Menschen, die fähig
sind, Freude, Leben und sogar Ausgelassenheit in einem der schwierigsten
Umfelder auf dem Planeten zu finden, beschenkt und bereichert, sogar besser
geworden ist. Der Rest der Welt mag die Missionare als Wohltäter der Leute von
Saude einschätzen. Aber die Oblaten dort wissen es besser. Sie sind es, die
empfangen - aus nichts, materiell gesehen - ein Hundertfaches!
Ich gratuliere den Mitbrüdern der
Region Südamerika dazu, dass sie das Wirken der Oblaten in Bahia fortsetzen.
Sie tun das trotz des steigenden Drucks, sich im Süden zu konzentrieren, woher
die Mehrheit der Oblaten kommt und wirkt und wo es Berufungen gibt. Aber sie
wissen, dass eine Begegnung der jungen Mitbrüder mit den entzückenden Menschen
und dem schönen Geist von Bahia sie und jene, denen sie dienen, für immer
bereichern wird.
In einer früheren Ausgabe dieses
Rundbriefes erwähnte ich, dass P. Dirk Koster zum Anlass des 125-jährigen
Jubiläums unserer Gründung eine neue Biographie des hl. Franz von Sales
schreiben würde. Ich habe gehört, dass dieses Werk nun fertig ist und formell
bei der Versammlung aller holländischen Mitbrüder während der Visitation im Mai
vorgestellt werden wird. P. Joseph Power vom De Sales Resource Center hilft mit
einer Übersetzung in das Englische und mit der Verbreitung dieses wertvollen
Werkes. Meine Hoffnung ist, dass es bald in alle Sprachen der Kongregation
übersetzt sein wird. Es ist meisterlich geschrieben, hat 288 Seiten und enthält
82 Photos. Die Mitbrüder der Holländischen Provinz werden eine Ausgabe als
Geschenk an jeden Oblaten in der Kongregation schicken. In eurem Namen möchte
ich P. Koster und unseren holländischen Mitbrüdern für diese besondere
Biographie danken. Sie wird von großem Nutzen für uns sein, um den Geist und
die Lehre unseres Patrons zu leben und mit der heutigen Welt zu teilen.
Gebet für Le Comte
Jean François de Roussy de Sales
Ich
empfehle Jean François de Roussy de Sales, einen Nachkommen eines Bruders des
hl. Franz von Sales, der am 19. Juli 1999 verstorben ist, eurem Gebet. Im Namen
der Kongregation habe ich ein Beileidsschreiben mit dem Versprechen des Gebetes
an seine Witwe, Madame La Comtesse de Roussy de Sales, und ihre zwei Töchter
gesandt.
Vorbereitungen für
unser 125-jähriges Jubiläum
Die Vorbereitungen für das
internationale Treffen von jungen Oblaten in Annecy und Troyes im Juli 2000
gehen weiter. Vom 24. Juli bis zum 26. Juli werden sich die Mitbrüder in Annecy
treffen, um an unseren heiligen Stätten zu beten und den Besinnungstag
vorzubereiten, den sie für die Kapitulare beim Generalkapitel halten werden. Am
27. Juli werden sie nach Troyes reisen, um die Stätten zu besuchen, die mit
unserer Gründung zu tun haben, und wo die Oblatinnen, die Heimsuchung und
unsere Mitbrüder bis heute wirken. Die Teilnehmer am Generalkapitel werden
eingeladen werden, sich ihnen zu den Feierlichkeiten am 28. Juli in Troyes
anzuschließen, um die Gute Mutter am 125. Jubiläumsjahr ihres Todes zu ehren
und das 125-jährige Jubiläum unserer Gründung zu feiern. Am 29. Juli werden wir
alle nach Fockenfeld reisen, wo am 31. Juli das 17. Generalkapitel beginnen
wird. Die jungen Mitbrüder werden eingeladen sein, am Kapitel als Beobachter
teilzunehmen.
P. Sebastian Leiter möchte jedem von
euch, seinen Mitbrüdern, für eure vielen Gebete und freundlichen Zeichen der
Unterstützung während dieser vergangenen schwierigen Monate danken. Zur Zeit
ist er zu Hause bei seinen Eltern in Wien und wartet den Ausgang der Ereignisse
ab. Wenn all das vorbei sein wird, wird er einen Brief an die Kongregation
senden und seine Situation eingehender erklären. Bis dahin bittet er weiterhin
um euer freundliches Gedenken und euer Gebet. In eurem Namen habe ich ihn
dessen versichert.
Als Generalrat, der für die
125-Jahr-Feier und für das Generalkapitel zuständig ist, ist er weiterhin sehr
viel beschäftigt.
Ihr werdet diesen Rundbrief
wahrscheinlich mitten in der Advents- oder Weihnachtszeit erhalten. Ich bin mir
sicher, dass eure Herzen während dieser heiligen Zeit mit vielen glücklichen
Erinnerungen und heiligen Gedanken erfüllt sein werden. Darf ich euch einen
weiteren empfehlen? Er stammt vom hl. Franz von Sales und betrifft Weihnachten:
"Der Magnet zieht Eisen, Stroh und Heu an; was uns betrifft, die wir Eisen
durch unsere Härte und Stroh durch unsere Schwäche sind, so sollen wir uns mit
diesem Kind vereinigen, das ein wahrer Herzensräuber ist" (Briefe 1498, OEA
XVIII, S. 334 f.)[1]
"Herzensräuber" - was für ein
gelungener Ausdruck! Habt ihr jemals bemerkt, dass immer, wenn einer von uns -
gleich welch natürliches Temperament er hat - ein Kind anschaut, sich spontan unser
Gesicht erhellt? Das ist wahr, und warum ist das so? Ich glaube, es ist deshalb
so, weil das menschliche Herz geradezu natürlicherweise auf die Unschuld und
Verletzlichkeit eines Kindes sieht, sowohl mit der Wärme menschlicher Liebe als
auch mit dem starken Wunsch, es zu beschützen und gern zu haben. Das
menschliche Herz wird buchstäblich von einem Kind gefangen genommen. Der hl.
Franz von Sales kennt diese Wahrheit über uns. Deshalb sagt er, dass das Kind,
das für uns in Betlehem geboren worden ist, wie ein Magnet ist, der uns alle zu
Gott hinzieht - gleich welches natürliche Termperament oder welche Verfassung
wir haben (sei es "Eisen oder Stroh"). Durch sein Kommen zu uns, das
nicht in Macht und Herrlichkeit geschehen ist, sondern in der Verletzlichkeit
eines zarten Kindes, bringt Gott ein Lächeln auf unser Gesicht und raubt unser
Herz. Ja, er zieht uns zu sich selbst und zu seinem Herzen, nicht mit den
eisernen Ketten von Furcht oder Macht, sondern mit seinem Sohn, der aus der
Jungfrau Maria geboren ist. Dadurch gibt er uns ein Beispiel dafür, wie wir
selbst die "Herzen gewinnen" sollten. Wie? "Alles aus Liebe,
nichts aus Zwang." Weil Gott die Liebe ist, ist das immer wahr gewesen.
Wenn nun das neue Jahrhundert vor der Tür steht, wird das der Magnet bleiben,
den wir in der salesianischen Familie verwenden, um Menschen zum Herzen Gottes
zu führen. Wir werden ihnen Gottes verletzliche und leidende Liebe vor Augen
stellen, die durch ein Kind symbolisiert wird, das in Armut und Einfachheit
geboren worden ist. Ja, wir werden einer oft kalten und gleichgültigen Welt das
göttliche Kind vor Augen stellen, das als ein Herzensräuber ihre Herzen
schmelzen und sie sanft zu Gott hinführen wird! "Ein Knabe wird sie
leiten!"
Während ich diesen Brief schreibe, bin
ich mitten in einer Visitation der Wilmington-Philadelphia Provinz, die bis
Mitte Dezember 1999 dauern wird. Der Generalrat wird sich in Europa vom 3. bis
6. Januar 2000 treffen. Die kanonische Visitation der Deutschen Provinz wird
vom 9. bis 18. Februar 2000 stattfinden, und die in der Holländischen Provinz
vom 1. bis 6. Mai 2000. Am 21. Mai 2000 werde ich die Kongregation beim
Goldenen Jubiläum unserer Anwesenheit und unseres Dienstes in St. Karl, Monte
Carlo, vertreten. Vom 24. bis 29. Juli werde ich mit den jungen Mitbrüdern aus
Anlass unseres 125-jährigen Jubiläums in Annecy und Troyes sein. Das 17.
Generalkapitel wird mit der Ankunft der Kapitulare in Fockenfeld am 30. Juli
2000 beginnen.
Jedes Jahr erhält jeder Höhere Obere
eine Ausgabe des Personalverzeichnisses der Mitglieder unserer Kongregation
sowie ein Nekrologium unserer verstorbenen Mitbrüder. Dieses Jahr wird jeder
Oblate eine spezielle Jubiläumsausgabe dieser Dokumente in einem Band
erhalten. In meinem Vorwort zu dieser besonderen Jubiläumsausgabe habe ich Mr.
Robert A. Carlston, der mit der salesianischen Familie verbunden ist, für seine
ständigen Bemühungen gedankt, diese Daten am Laufenden zu halten, und für seine
jährlichen Vorbereitungsarbeiten zum Druck und Aussand dieser Dokumente. Er
stellt der Kongregation auf diese und andere Weise großzügig seine Zeit und
seine Begabungen zur Verfügung. Er hat mich gebeten, zweifelsohne aus seiner
Demut heraus, diese Dankesworte aus dem Vorwort herauszustreichen, und so
möchte ich sie hier zum Ausdruck bringen. Als ein Zeichen der Dankbarkeit
ersuche ich euch, dass wir gemeinsam im Gebet an Bob, seine Frau Rosalie und
deren Familie denken. Wir Oblaten sprechen häufig von unserer Zusammenarbeit
mit der Laienschaft. Das ist ein Beispiel dafür, wie fruchtbar diese
Zusammenarbeit sein kann.
In brüderlicher Verbundenheit
durch unseren heiligen Patron
und unsere heiligmäßigen Gründer,
Lewis S. Fiorelli, OSFS
Generaloberer
D
S B